Flamme der Freiheit
gibt es nicht, das kann ich niemandem erzählen«, schrie er.
Eleonora stieß ihn mit der Fußspitze an. »Warum kann Er das niemandem erzählen?«, schnarrte sie im arroganten Kasinoton.
»Weil ein Frauenzimmer die preußische Armee mit ihren angeborenen Schießkünsten bis auf die Knochen blamieren würde.«
»Kannst du denn nicht so gut schießen?« Jetzt war Eleonora wirklich neugierig.
»Nein!« Alexanders Ton war schneidend. Er hatte sich aufgesetzt und schaute zu ihr empor. Er war plötzlich blass geworden.
»Ich habe dich immer für einen blendenden Schützen gehalten.«
»Ich war in der Tat einmal ein blendender Schütze. Bis zur Schlacht von Austerlitz.« Seine Stimme war rauh und fremd. Er senkte den Kopf.
»Oh«, machte Eleonora betroffen. Sie glitt an seine Seite und schloss ihn in die Arme. Erschrocken bemerkte sie, dass er weinte. Sie küsste ihm die Tränen von den Wangen.
Alexander schluchzte einmal trocken auf, aber dann schloss er die Augen und legte lächelnd den Kopf in den Nacken. »Soldat Prohaska, Sie sollten Ihr Gewehr sichern, ehe Sie sich anschicken, einen preußischen Oberst auf einer Pferdekoppel zu verführen«, rügte er seinen jüngsten Schützen.
Zehn Tage lebten sie auf Schloss Sophienhof, abgeschnitten von Zeit und Raum. Sie wussten nicht, was sich draußen in der Welt tat, es interessierte sie auch nicht. Es gab nur zwei Menschen auf diesem Erdenrund, Eleonora und Alexander, umhuscht von dienstbaren Geistern, deren größter Ehrgeiz darin bestand, keinen Wunsch unerfüllt zu lassen und dabei möglichst unsichtbar zu wirken und zu bleiben.
»Manchmal komme ich mir wirklich vor wie im Paradies«, sagte Alexander eines Morgens und knabberte genüsslich an einer riesigen Traube, die heute Morgen überraschend auf dem silbernen Frühstückstablett gelegen hatte.
»Fehlt nur die böse Schlange, die Eva vom Baum der Versuchung zu kosten verführt«, erwiderte Eleonora lachend.
»Lieber nicht, denn ich möchte nicht aus diesem Paradies vertrieben werden«, entgegnete Alexander und fütterte sie mit einer frischen Traube. »Versuch einmal, ob sie dir schmecken. Der Gärtnermeister hat seinen ganzen Ehrgeiz hineingesteckt, hinter dem Haus an dem kleinen Hügel ein paar Weinstöcke anzupflanzen.«
Eleonora kostete und verzog den Mund. »Sind die sauer«, sagte sie und schüttelte sich.
Alexander lachte. »Der Gärtner ist besessen von der Idee, aus unseren wenigen Weinreben genügend Ertrag für einen Hauswein herauszuholen.«
»Da muss er die Trauben aber noch eine ganze Weile reifen lassen, es ist doch noch längst nicht Zeit für die Weinlese«, meinte Eleonora. »Es ist doch erst August.«
»Den Wievielten haben wir eigentlich«, überlegte nun Alexander laut und schaute suchend um sich, aber nirgendwo war im Gartensaal ein Kalendarium zu entdecken. »Ich habe in den vergangenen Tagen tatsächlich mein Zeitgefühl verloren. So etwas dürfte einem alten Soldaten wie mir eigentlich niemals passieren.«
»Ich habe vor drei Tagen zum letzten Mal Tagebuch geschrieben, da zeigte mein Kalenderblatt den 15 . August«, sagte Eleonora. »Demnach müsste heute der 18 . sein.«
»Bis zum 4 . August fanden in ganz Preußen keine Konzerte und Schauspiele statt. Aber die offiziell anberaumte Trauerzeit dauert noch bis Mitte September«, meinte Alexander nachdenklich.
»Dann sind wir ja schon fast drei Wochen auf dem Sophienhof«, stellte Eleonora überrascht fest.
»Ja, die Tage sind nur so dahingeflogen, aber spätestens Ende September muss ich wieder in Berlin sein«, entgegnete Alexander.
Zu gerne hätte Eleonora erfahren, was ihn nach Berlin zog, aber sie hütete sich zu fragen. Schon häufiger hatte sie bemerkt, dass Alexander Fragen nicht mochte. So gerne er von sich aus erzählte, sich bei guter Laune stundenlang in Anekdoten und lustigen Geschichten aus seiner Militärzeit ergehen konnte, so ungern mochte er es, wenn er direkt gefragt wurde. Eine Frage zur falschen Zeit am falschen Ort, und er klappte zu wie eine Auster. Er war kein einfacher Mann, der junge Graf Alexander von Prewitz zu Kirchhagen. Ob sie ihn in den vergangenen Wochen ihrer leidenschaftlichen Romanze aber richtig durchschaut hatte, bezweifelte sie immer noch. Ihre Zuneigung und jugendliche Anbetung aus der Ferne war mittlerweile einer tiefen, glühenden Liebe zu einem Mann aus Fleisch und Blut gewichen. Dennoch war sie sich seiner Gefühle niemals sicher. So offen und herzlich er auch sein konnte, sosehr
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