Flamme der Freiheit
niemals vergessen, dass ich nur die Tochter eines einfachen Feldwebels aus Potsdam bin.«
Die kleine Abendgesellschaft hatte Eleonora in Ruhe ausreden lassen.
»Braves Kind, so ist es recht«, lobte der Graf, während sich seine Gattin auf ihrem Stuhl zurücklehnte und erleichtert aufatmete.
Wie gut, dass ihrer Schwiegermutter Protegé keine falschen Ambitionen hegte. Jemand anders an ihrer Stelle hätte die sich bietenden Möglichkeiten schamlos ausgenutzt. Aber dazu war Eleonora zu integer. Eigentlich war sie doch ein sehr nettes und hübsches junges Mädchen. Ungewohnt wohlwollend nickte Gräfin Elisabeth ihr zu. Ja, sie tätschelte ihr sogar die Hand, eine vertrauliche Geste, zu der sie sich niemals zuvor herabgelassen hatte.
»Sehr klug, sehr klug, Eleonora, dass Sie wissen, wo Sie hingehören«, sagte sie lächelnd. Erstaunt ob der ungewohnten Vertraulichkeit, schaute diese zu ihr auf.
»Und wo gehört Eleonora tatsächlich hin?«, erkundigte sich nun ihre Schwiegermutter interessiert.
»Zu uns natürlich, zu uns«, riefen Charlotte und Sophie wie aus einem Mund. Mit der Überschwenglichkeit ihrer jungen Jahre umfassten sie ihre Wahlschwester von beiden Seiten und küssten sie stürmisch. Gerührt erwehrte sich diese der ungestümen Zärtlichkeiten.
»Ich weiß, wo mein Platz ist und wohin ich gehöre«, sagte sie fest.
»Und das wäre?«, erkundigte sich Gräfin Dorothea gespannt.
»Es ist die Opernbühne«, sagte sie noch fester.
»Brava, brava, la Signorina, brava!«, ließ sich überraschend die krächzende Stimme von Maestro Farini vernehmen. Kein Mensch hatte seinen leisen Eintritt bemerkt. Zum Essen war er nicht erschienen. Es geschah häufiger, dass er den Beginn einer Mahlzeit verpasste. Pünktlichkeit gehörte nicht zu seinen Tugenden. Aber kein Mensch nahm es ihm auf dem Sophienhof übel. Er musste sich nach dem Unterricht zu seinem gewohnten Mittagsschlaf, der sich auch einmal bis in die frühen Abendstunden strecken konnte, hingelegt haben. Wahrscheinlich hatte er mal wieder den Gong überhört, so dass er sich erst jetzt der Tischgesellschaft zugesellte.
»Ach, Maestro, gerade war ich schon dabei, die Tafel aufzuheben«, begrüßte ihn die Gräfin lächelnd. »Mögen Sie denn noch etwas speisen?«
Genüsslich schnuppernd sog er den Duft des Hühnerfrikassees, das noch auf einer silbernen Platte über einem Rechaud auf der großen Anrichte sanft vor sich hin köchelte, in sich ein. Schon stand Anton davor, nahm einen Porzellanteller vom bereitstehenden Stapel und richtete gefällig eine verspätete Mahlzeit für den Maestro an. Formvollendet mit einer tiefen Verbeugung, selbstverständlich von der linken Seite serviert. Genauso zuvorkommend schenkte er ihm ein Glas Mosel ein, dabei mit Argusaugen von Jean beobachtet, der sich aber kaum ein triumphierendes Lächeln verkneifen mochte.
»Ich glaube, du hast eine gute Wahl mit Anton getroffen«, wandte sich die Gräfin nun an ihren alten Diener. »Er stellt sich sehr geschickt an, ein richtiger Zauberlehrling. Wir sollten ihn wirklich mit nach Berlin nehmen und bei Christian in eine Kutscherlehre geben.«
Anton errötete vor Freude.
Jean verneigte sich. »Ich bin überzeugt, dass Anton unsere Erwartungen nicht enttäuschen wird«, sagte er gemessen.
»Formidable, formidable, dann kann er uns im Winter zum Schlittschuhlaufen begleiten«, begeisterte sich Charlotte.
Anton war ein vorzüglicher Schlittschuhläufer, der sich in Kinderzeiten mit allen drei Mädchen in wilden Wettläufen gemessen hatte, bis es Gräfin Elisabeth verbot, weil sich dergleichen für die jungen Komtessen nicht geziemte. Auch jetzt runzelte sie unwillig die Stirn. Schon wieder ein Zeichen, dass sich ihre Töchter nicht ihres Standes bewusst und so nicht in der Lage waren, die gebotenen gesellschaftlichen Schranken einzuhalten. Wo sollte das einmal hinführen? Ihre Liebe zu Eleonora war ja auch viel mehr als Sympathie. Na, und wie Alexander seine Bühnenpartnerin nach der sommerlichen Bühnenaufführung angeschaut hatte, war ihr keineswegs entgangen. Natürlich konnte sie sich auch einen Reim auf das plötzliche Verschwinden ihres Sohnes machen. Ihre Schwiegermutter sollte sie nicht für dümmer halten, als sie war. Dass diese hinter der unangekündigten Abreise von Alexander steckte, war ihr klar. Und sie befürwortete diese Entscheidung, ihn für das Erste vom Sophienhof zu verbannen. Selten genug kam es ja vor, dass sie und Dorothea einer Meinung waren. So wie
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