Flamme der Freiheit
heute Abend. Ihre Schwiegermutter schien wirklich kurzfristig mit dem Gedanken gespielt zu haben, Eleonora bei Hofe einzuführen. Die Tochter eines Potsdamer Feldwebels sollte debütieren können wie eine Angehörige des preußischen Hochadels? Unmöglich!
»Es gibt nur einen Platz auf dieser Welt, wo Signorina Nora hingehört, und das ist die Opernbühne«, nahm der Maestro den Gesprächsfaden wieder auf. Er gönnte sich einen tiefen Schluck aus seinem Weißweinglas. »Und zwar auf die großen Opernbühnen dieser Welt. Sie könnte eine neue Mara werden. Sie müsste nur einmal richtig auf einer großen Bühne debütieren können«, setzte er hinzu.
»Schon wieder ein Debüt?«, ächzte der Graf.
»Hat sie nicht ihr Debüt im vergangenen Sommer hier auf dem Sophienhof gehabt?«, erkundigte sich Gräfin Elisabeth spitz.
Der Maestro schnaubte verächtlich. »Das war eine wohl gelungene Aufführung, aber doch kein Debüt für eine Primadonna assoluta.«
»Und wo, meinen Sie, könnte Eleonora richtig debütieren«, erkundigte sich Gräfin Dorothea.
Maestro Farini nahm noch einen Schluck aus seinem Weinglas. Er setzte es ab und begann an seinem Fuße zu drehen. »Wien, Prag, Paris, St. Petersburg, es gibt viele Möglichkeiten. Warum nicht auch Berlin?«
»Warum nicht auch Berlin?«, wiederholte sie nachdenklich.
»Oder London?«, schlug der Maestro vor.
»Das sagen Sie?«, wunderte sich die Gräfin.
»Ich bin nicht nachtragend«, behauptete der Maestro.
Alle bei Tisch wussten, dass er einst im bitteren Streit die britische Hauptstadt verlassen hatte.
»Für meine Signorina Nora ist mir nichts gut genug.«
»Aber die Berliner Oper hat sich mittlerweile doch auch einen guten Ruf erworben«, wagte Eleonora sich einzumischen. »Denken Sie an die erfolgreiche Uraufführung des
Tamerlano
von Johann Friedrich Reichardt im vergangenen Herbst.«
O ja, Eleonora war auf dem Laufenden. Das hatte sie der eifrigen Lektüre der regelmäßig auf Sophienhof eintreffenden Zeitschriften zu verdanken.
»Jo’ann Frrrrrrriedrich Rrrrrrreikart, wer ist Jo’ann Frriedrich Rrreikart«, explodierte der Maestro prompt.
Außer Mozart gab es keinen deutschen Komponisten, der Gnade vor des Italieners Ohren fand. In einer schwachen Stunde war er bereit, seinem Altfeind Georg Friedrich Händel großes kompositorisches Können zuzugestehen. Aber seine wahren Götter waren nun einmal die Italiener, seine Landsleute. »Cherubini muss sie singen, Salieri und natürlich Mozart, immer wieder Mozart. Eigentlich ist er ja auch ein Italiener. Die Rolle der Pamina beherrscht sie schon, und in drei Jahren ist ihre Stimme auch reif für die Königin der Nacht.«
»Na, vielleicht ist dann die Direktion der Berliner Oper endlich so weit, die
Zauberflöte
aufzuführen. Sogar in Paris wurde dieses bezaubernde Singspiel bereits gegeben. Ich musste eigens nach Dresden reisen, um es zu sehen«, unterbrach ihn die Gräfin. »Glauben Sie wirklich, dass Eleonora mit knapp zwanzig schon reif genug für die Königin der Nacht ist?«, wollte sie dann von ihm wissen.
»Eigentlich ja, aber …« Er hielt inne und schwieg bedeutungsvoll.
»Was aber?«, fragte die Gräfin. »Sie ist doch zu jung?«
»Nein, das ist es nicht, aber la Signorina Nora hat Kummer. Und Kummer ist nicht gut für die Stimme.«
»Lorchen, du hast Kummer? Ja, was hast du denn für einen Kummer?«, rief Sophie entsetzt aus. Unwillkürlich hatte sie ihre Freundin mit ihrem alten Kindernamen belegt und schaute sie besorgt an.
Eleonora errötete. Sie biss sich auf die Lippe und senkte den Kopf. Nur gut, dass zumindest den beiden Komtessen ihre Verstörung entgangen war. Obwohl …
»Ich finde auch, dass Eleonora in der letzten Zeit immer dünner wird«, meinte nun Charlotte. »Sophie könnte ihr gut und gern zehn Pfund abgeben.«
»Tu es méchante!«, kreischte ihre jüngere Schwester auf. »Ich komme nun einmal mehr nach meiner Mutter.«
In Sekundenschnelle gelang es Gräfin Elisabeth, noch beleidigter auszuschauen. Um Gräfin Dorotheas Mundwinkel zuckte es verdächtig.
Es stimmte tatsächlich. Komtess Sophie hatte die untersetzte Gestalt ihrer Mutter vererbt bekommen. Auch Gräfin Dorotheas Sohn Wilhelm zeigte bereits seit geraumer Zeit eine Neigung zum Embonpoint, die er wiederum von seinem Vater Ludovic geerbt hatte. Einzig die Gräfin hatte sich ihre jugendliche Figur bis ins Alter bewahrt. So passte Eleonora von ihrer Erscheinung her viel besser zu ihr als die eigenen Enkelinnen.
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