Flamme der Freiheit
Sophie.
»Schon im Sommer hat uns Demoiselle Durand erzählt, dass sie für den Herbst wieder ballenweise Seide aus Lyon bestellt hat«, fiel ihr Charlotte ins Wort. »Mit dem nächsten Kurier sollten wir ihr Bescheid geben, dass sie …«
»Ich glaube kaum, dass Mademoiselle Durand jetzt Zeit haben wird, hinaus auf den Sophienhof zu kommen. Für eine Südfranzösin ist das eine Zumutung in dieser Jahreszeit. Ein scharfer Windstoß, und Demoiselle ist umgepustet«, unterbrach sie ihre Großmutter.
»Ist die Schwester von unserer Mamsell Babette nicht auch eine geschickte Schneiderin?«, schlug Graf Wilhelm vor. »Und sie verlangt bestimmt nur einen Bruchteil dessen, was dieses französische Frauenzimmer verlangt.« Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Weinglas und lehnte sich gemütlich zurück.
»Papaaaa, Papaaa!«
»Alors, mon cher, c’est vraiment impossible!«
Entsetzen und Empörung von Gemahlin und Töchtern schienen ihm stilles Vergnügen zu bereiten.
»Ich sehe nicht ein, für so ein paar luftige Stofffetzen, die nur eine Nacht halten, so viel Geld auszugeben.«
Erstaunt schaute seine Mutter ihn an. Hatte ihr Sohn plötzlich die preußische Tugend der Sparsamkeit entdeckt? Es entsprach so gar nicht seinem Naturell.
»Das gesellschaftliche Debüt bildet einen Höhepunkt im Leben eines jungen Mädchens, eigentlich den wichtigsten vor der Hochzeit«, erklärte Gräfin Dorothea bedeutungsvoll. Enkelinnen und Schwiegertochter atmeten auf. Großmutter sprang für sie in die Bresche. Charlotte und Sophie würden ihre Roben bekommen.
»O Gott, o Gott, verehrte Maman, erinnern Sie mich nur nicht an Hochzeiten und Mitgift«, stöhnte ihr Sohn. Vor Schreck war er sogar in die förmliche Anrede zurückgefallen.
»Bis dahin hat es ja noch Zeit«, beruhigte ihn seine Mutter. »Weder für Charlotte noch für Sophie habe ich bislang auch nur den Schatten eines Bewerbers erahnen können.«
»Weil wir noch nicht offiziell bei Hofe eingeführt wurden«, rief Charlotte.
»Und hier draußen in der Diaspora«, fügte Sophie hinzu.
»Was hast du da soeben gesagt?« Mit betonter Langsamkeit drehte sich die Gräfin zu ihrer Enkelin herum und musterte sie durchdringend.
Sophie sank in sich zusammen. Am liebsten wäre sie unter den Tisch gekrochen. »Du hast doch eben selbst gesagt, dass man zum Beispiel Demoiselle Durand auf keinen Fall die Reise hinaus zu uns zumuten kann«, verteidigte sie sich schwach.
»Das stimmt, aber du bist auch wesentlich robuster als dieses zarte Pflänzchen aus Südfrankreich«, erwiderte ihre Großmutter.
»Auch ich habe schwache Nerven und bin empfindlich, ich habe mich gerade von meinem Migräneanfall erholt.«
»Papperlapapp, eingebildete Kopfschmerzen und Langeweile«, schnaubte die Gräfin verächtlich. »Ich gebe ja zu, dass es hier in der dunklen Jahreszeit nur wenig Abwechslung für euch jungen Leute gibt, aber deshalb meinen geliebten Sophienhof als Diaspora zu bezeichnen, dulde ich nicht!« Mit erhobener Stimme beendete sie ihren Satz und schaute auf ihre Enkelin hinab.
»Es tut mir so leid, grand-mère, pardonnez-moi, je vous en pries«, flüsterte Sophie. Sie war den Tränen nahe.
»Schon gut, schon gut«, lenkte die Gräfin unerwartet rasch ein. »Ihr sollt eure Ballkleider bekommen, und zwar von Mademoiselle Durand aus neuester Lyoner Seide angefertigt.«
»Was das kostet!«, ächzte Graf Wilhelm.
»Die Kosten für die Ballkleider übernehme ich!«, sagte die Gräfin fest und fixierte ihn.
»Das kann ich aber nicht annehmen«, protestierte dieser wenig überzeugend.
»Und ob du kannst, weil du wirst«, erwiderte die Gräfin.
Da waren ihr beide Enkelinnen auch schon um den Hals gefallen. »Grand-mère, grand-mère, wie können wir dir jemals danken! Du kannst dir kaum vorstellen, wie wir uns freuen!«
»Oh, das kann ich durchaus, ich bin schließlich auch einmal jung gewesen«, widersprach ihre Großmutter lächelnd. »Und ich kann mich sogar noch sehr gut an mein Debüt erinnern. Ich trug eine smaragdgrüne Robe mit einem weiten Reifrock.«
»Du musst wunderschön ausgesehen haben«, schmeichelte ihr Charlotte.
»Ich kam mit diesem Reifrock kaum mehr durch die Türe des Ballsaals«, erinnerte sich die Gräfin. »Voltaire war gerade in Sanssouci eingetroffen.«
»Oh, du bist in Sanssouci bei Hofe eingeführt worden!«
»In Sanssouci?« Fast entgeistert schaute Gräfin Dorothea ihre Enkelin an. Dann warf sie den Kopf in den Nacken zurück und lachte schallend.
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