Flamme der Freiheit
diese Bezeichnung für den Konzertmeister Balduin Schilling in ganz Berlin eingebürgert, war er doch dabei, sich auch als hoffnungsvoller Komponist einen Namen zu machen. Eigentlich war es für Eleonora eine große Ehre, von ihm unterrichtet zu werden. Heute auch noch privat.
Aber mittlerweile war es schon nach halb vier. Draußen begann es dunkel zu werden. Die ersten Laternenanzünder tauchten unten auf der Straße auf, um die Straßenlampen zu entzünden. In Berlin war man sehr stolz darauf, zu den ersten europäischen Städten zu gehören, wo zumindest die Straßen des Zentrums beleuchtet waren.
Es klopfte an die Tür.
»Herein, bitte treten Sie doch ein!«, rief Eleonora.
Aber es war nicht ihr Lehrer, der nun den Raum betrat, sondern die junge Zofe Emma. Sie wirkte ziemlich aufgelöst.
»Sie mögen bitte sofort in den Salon der Gräfin kommen. Der Maestro ist gerade angekommen, aber er wird Sie nicht unterrichten können«, stieß sie hervor und eilte davon.
Mit leiser Verwunderung leistete Eleonora dieser Aufforderung Folge. Sie lief die große Treppe hinunter in den ersten Stock, klopfte an die hohe Flügeltür des Salons und trat ein.
Zwei Augenpaare schauten ihr entgegen. Hoch aufgerichtet saß Gräfin Dorothea in ihrem großen Armsessel. Vor dem Kaminsims stand Balduin Schilling. So hatte sie ihren Lehrer noch niemals gesehen. Er war kreidebleich und lehnte sich an das Sims, als müsste er sich daran mit dem Ellbogen abstützen.
»Maestro, wie sehen Sie denn aus, ist Ihnen nicht gut, ist etwas mit Ihrer Frau oder dem Kind passiert?«, erkundigte sich Eleonora alarmiert.
Balduin Schilling schüttelte nur stumm den Kopf.
»Der Maestro wird dir heute keinen Unterricht erteilen können. Er möchte sich dafür jedoch persönlich entschuldigen. Das rechne ich Ihnen wirklich hoch an.« Gräfin Dorothea schaute Schilling sorgenvoll an. Dieser presste die Lippen zusammen und verneigte sich stumm.
»Was ist denn passiert?«, wollte Eleonora wissen.
»Die Ereignisse überschlagen sich«, sagte die Gräfin dumpf.
Verständnislos schaute Eleonora sie an.
»Ich habe soeben Nachricht direkt aus Wien erhalten«, fuhr die Gräfin fort. Eleonora verstand immer noch nicht und schwieg. »Der Maestro ist auf dem Weg zu uns einem Kurier begegnet, der sich verlaufen hatte und nach unserer Adresse fragte. Der Einfachheit halber hat er den Brief an mich gleich mitgenommen.«
»Und wurde so Überbringer der schlechten Nachricht«, sagte der Maestro heiser. »In der Antike wurde man dafür geköpft.«
Gräfin Dorothea unterbrach ihn mit einer abwehrenden Handwegung. »Die Fürstin Schwarzenberg hat mir geschrieben. Die russische und die österreichische Armee sind am 2 . Dezember in einem kleinen Dorf in Mähren vernichtend geschlagen worden«, erklärte sie tonlos. »Es hat Tausende von Verletzten und Verwundeten gegeben. Die Franzosen sollen mehr als zwölftausend gegnerische Soldaten gefangen genommen haben.«
»Oh!«, entfuhr es Eleonora.
»Das war am 2 . Dezember. Zwei Tage später«, berichtete die Gräfin weiter, »ist Napoleon mit dem österreichischen Kaiser zusammengetroffen. Am 6 . Dezember hat man auf Schloss Austerlitz einen Waffenstillstand geschlossen unter der Bedingung des sofortigen Abzugs der Russen.«
Eleonora verspürte einen schmerzhaften Stich in der Brust.
»Wo Alexander jetzt sein mag?«, stellte die Gräfin genau die Frage, die Eleonora seit Monaten im Verborgenen quälte. Seit der Hochzeit seiner Schwester Charlotte war er aus Berlin verschwunden. Ab und an drangen ein paar vage Nachrichten bis nach Berlin durch, so auch die, dass er sich kürzlich als Freiwilliger den Truppen des russischen Generals Kutusow angeschlossen hatte.
Aus alter Gewohnheit glitt Eleonora an die Seite der Gräfin und ließ sich wie früher auf dem Hocker zu ihren Füßen nieder. Wie als kleines Mädchen legte sie den Kopf an deren Knie. Fast automatisch fuhr ihr die Gräfin durch die dichten Haare, eine liebevolle, vertraute Geste.
»Das ist das Ende!«, murmelte sie tonlos.
Eleonora ahnte nicht, dass sie damit nicht nur das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation meinte. Alle drei schwiegen und starrten vor sich hin. Nach geraumer Weile löste sich Balduin Schilling vom stützenden Halt des Kaminsimses und trat mit schweren Schritten vor Gräfin Dorothea hin.
Er räusperte sich. »Ich bitte mich jetzt zu entschuldigen«, sagte er mit belegter Stimme und machte eine tiefe
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