Flamme der Freiheit
Deutschland war die dem französischen Eroberer gegenüber manchmal unverhohlene, manchmal widerwillig gezollte Bewunderung inzwischen in Ablehnung, sogar in Hass umgeschlagen. Die Zeitungen bezeichneten ihn als Imperator, dessen Expansionswillen unberechenbar war, und fielen nach dem Druck solcher Artikel prompt der Zensur zum Opfer.
Als Bewahrer der Französischen Revolution, der die Ideale von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit stets erhalten wollte, stellte sich Napoleon nach wie vor gerne gegenüber dem französischen Volk, aber noch lieber gegenüber seinen Soldaten dar. Der Geist der Französischen Revolution schien wie eine kleine Flamme, die noch verhalten im Inneren seiner Untertanen glimmte. Aber Napoleon gelang es stets, diese von neuem zu einem Feuersturm zu entfachen. Der Ruf vom unversiegbaren Kampfgeist der französischen Armee war mittlerweile legendär.
Und dann hatte sich dieser geniale Armeeführer, der erste Konsul auf Lebenszeit, vor einem Jahr in der Notre-Dame von Paris eigenhändig zum französischen Kaiser gekrönt. Vor den Augen des überrumpelten Papstes Pius, den er gezwungen hatte, eigens aus Rom anzureisen, dem er einfach die Krone aus den alten zittrigen Händen genommen hatte, um sie sich selbst aufs Haupt zu setzen.
Ein Skandal!
Damit nicht genug, denn danach hatte der frisch gekrönte Kaiser seiner Gemahlin Joséphine die Krone auf deren anmutig gesenkten Kopf gedrückt und sie damit zur Kaiserin aller Franzosen gemacht – Joséphine Bonaparte, verwitwete Beauharnais, Mutter zweier fast erwachsener Kinder, ehemalige Geliebte von Barras, bekanntermaßen Lebedame und Freundin der Mesdames Récamier und Tallien, Inhaberin des beliebtesten Salons während der Jahre des Direktoriums.
Als noch der süßlich schwere Geruch des Blutes zwischen hohen Mauern der engen Gassen von Paris, Lyon und Marseille hing, das gnadenlose Klappern der eisernen Schwerter der Guillotinen längst nicht vergessen war, da trugen die modisch bewussten Damen bereits eine schmale rote Seidenschnur um ihre Schwanenhälse, die sie als der Hinrichtung gerade noch entkommene Opfer der Revolution auswies.
Auch Joséphine hatte mit diesem modischen Attribut kokettiert und den blutjungen General aus Korsika mit ihrem Charme, dem sich niemand entziehen konnte, auf Anhieb betört.
»Eine Kokotte wird die Kaiserin von Frankreich«, hatte Sophie Marie von Voss an ihre Freundin geschrieben. »Und das nur wenige Jahre, nachdem man die arme unglückliche Marie Antoinette ermordet hat.«
»Ich bin beileibe keine Verfechterin der Französischen Revolution, aber dass nur fünfzehn Jahre nach deren Ausbruch in Notre-Dame ein korsischer Aufsteiger sich selbst zum Kaiser krönt, ist doch mehr als absurd«, kommentierte Gräfin Dorothea die Zeilen aus dem Berliner Stadtschloss.
»Er will eine neue Dynastie begründen«, erzählte Gräfin Elisabeth eifrig.
»Mit dieser abgetakelten Fregatte?«, hohnlachte Graf Ludovic.
Die Schlacht von Trafalgar lag noch nicht so lange zurück und mochte zu der maritimen Ausdrucksweise des Grafen geführt haben.
»Mais, Louis, je vous en pries!« Der verbale Ausrutscher ihres Gatten führte prompt zu einer Rüge der verschärften Art. Je formeller im Ausdruck, desto größer der Unmut der Gräfin.
»Pardonnez-moi, pardonnez-moi!«, entschuldigte sich der Graf sofort. »Aber es ist nun mal kein Geheimnis, dass Joséphine bei ihrer Krönung bereits einundvierzig Jahre zählte, ein Alter, in dem du bereits Großmutter warst, ma chère. Obwohl man es dir keineswegs ansah. Genauso wenig, wie man jetzt glauben mag, dass du bereits dreifache Urgroßmutter bist.« Charmant beugte sich der Graf über die Hand seiner Gattin und hauchte die Andeutung eines galanten Kusses auf den Handrücken.
Mit einem Lächeln entzog sich die Gräfin dieser Berührung, aber sie schien besänftigt.
In der Tat stand der neue Kaiser Frankreichs mit seinen sechsunddreißig Jahren in der Blüte seiner Jahre. Und in seinem ersten Kaiserjahr fielen ihm die Siege weiterhin so zu wie in den Zeiten zuvor als junger General oder späterer Konsul. Sein Eroberungshunger schien unersättlich. Das führte auch in dem zur Neutralität gezwungenen Preußen zu höchster Beunruhigung.
Eleonora spielte noch einen letzten Lauf auf dem Flügel und warf einen Blick auf die kleine Pendule, die auf dem Kamin stand. Halb vier schlug sie genau in diesem Moment.
Wo nur der junge Maestro blieb? In den letzten Monaten hatte sich
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