Flamme der Freiheit
einmal zu, während Sophie ihr eine Kusshand zuwarf. Lächelnd schaute Eleonora ihren beiden Gefährtinnen hinterher. Auch wenn sie inzwischen verheiratet und Mutter geworden waren, hatten sie sich nicht verändert. Genauso wenig wie ihre Lieblingsfarben, denn wie immer trug Charlotte ihr geliebtes Bleu, während ihre Schwester Sophie sich wie bei ihrem Debüt für eine Robe in Rosé entschieden hatte.
Das kleine Kammerorchester spielte brillant. Balduin Schilling dirigierte mit der üblichen Hingabe und mit Einfühlungsvermögen, überraschte jedoch mit einer schauspielerischen Leistung, die ihm niemand zugetraut hätte, indem er perfekt den Liebhaber der »kleinen Inszenierung« mimte. Mit großer Geste überreichte er jedes Mal, wenn der in die Rolle des Schäfers schlüpfen musste, dem ersten Geiger den Dirigentenstab, ehe er sich seiner Geliebten zuwandte. Eleonora war eine entzückende Schäferin. So ergingen die beiden sich in etlichen Tändeleien, Missverständnissen hier, einem dummen Streit da, ehe sie endlich zueinanderfanden und Eleonora ihre große Liebe in einer ergreifenden Arie bekundete.
Sekundenlang blieb es still, nachdem sie verstummt war. Aber dann prasselte der Beifall los. Bravorufe waren zu hören, vereinzelt sogar verstohlene Versuche von Fußgetrampel, das jedoch nach einem ungehaltenen Blick der Gräfin sofort verstummte. Doch das Klatschen schien kein Ende nehmen zu wollen. Immer wieder und wieder musste sich Eleonora verbeugen. Sie gab eine Zugabe und eine zweite Zugabe, dann noch eine und noch eine.
»Ich kann nicht mehr, meine Stimme«, flüsterte sie Balduin Schilling, der sich immer wieder strahlend aufs Neue neben seiner Lieblingsschülerin verneigte, ermattet zu. Er nickte und hob die Hand. Das Publikum hielt inne.
»Meine Damen und Herren, Sie sind heute Abend Zeuge einer großartigen künstlerischen Leistung geworden«, sagte er.
»Bravooooo!«, kam es kräftig aus der ersten Reihe zurück. Eleonora spähte von der kleinen improvisierten Bühne des Prewitzschen Gartensaals hinunter. Das konnte nur Prinz Louis Ferdinand gewesen sein. Jetzt entdeckte sie auch die neben ihm sitzende Gräfin Dorothea, die sich gerade mit einem Spitzentüchlein diskret die Augen abtupfte. So war es Eleonora gelungen, ihre Gönnerin zu Tränen zu rühren. Ob damit gleichzeitig das Verzeihen ob ihres Schweigens bezüglich Alexander einherging, schoss es dieser durch den Kopf. Sie kam gar nicht dazu, diesen Gedanken weiterzuspinnen, denn plötzlich stand Louis Ferdinand vor ihr. Mit zwei, drei langen Schritten war er auf die kleine Bühne, die ja eigentlich nur ein großes Podest war, gesprungen und riss nun Eleonora an sich. Er küsste sie links und rechts auf die Wangen, schob sie wieder von sich und drehte sie zum Publikum.
»Wertes Publikum, verehrte Freunde, liebe Gäste und meine liebste Gräfin Dorothea. Ich möchte uns alle beglückwünschen zu der Entdeckung dieser herausragenden jungen Sängerin, der künftigen Primadonna assoluta unseres geliebten Preußens«, verkündete er mit weittragender Stimme. Ein normales Theaterpublikum hätte an dieser Stelle zu toben begonnen, aber auch die illustre Gesellschaft im Stadtpalais der Prewitzens ließ sich von dem Temperament des Preußenprinzen mitreißen. Frenetische Beifallsrufe ertönten. Eleonora konnte unter ihnen die hellen Stimmen von Charlotte und Sophie ausmachen. Und das tiefe Brummen? Kam das von dem bayerischen Herzog oder dem schwedischen Grafen?
Mit einem Satz sprang Louis Ferdinand zu dem im Hintergrund der Bühne stehenden Hammerflügel, ein Instrument, das der bedeutendste Klavierbauer Berlins zu diesem Anlass im Prewitzschen Stadtpalais mit Freuden zur Verfügung gestellt hatte. Er nahm auf dem davorstehenden zweisitzigen Klavierschemel Platz, griff temperamentvoll in die Tasten und ließ einen perlenden Lauf ertönen. Das Publikum wartete gespannt. Eleonora stand nun alleine auf der Bühne, denn Balduin Schilling hatte sich schon längst diskret in den Hintergrund verzogen. Mit einem energischen Wink holte der Prinz den Kapellmeister wieder zu sich heran. Beflissen beugte dieser sich zu ihm hinunter, damit er besser verstehen konnte. Louis Ferdinand flüsterte ihm etwas ins Ohr. Balduin Schilling lauschte und schüttelte skeptisch den Kopf. Umso energischer nickte der Prinz. Schilling zuckte mit den Schultern. Er wandte sich dem ersten Geiger des kleinen Kammerorchesters zu. Nun flüsterte er diesem etwas ins Ohr. Es musste
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