Flamme der Freiheit
etwas gewesen sein, was dessen Gesicht aufleuchten ließ. Strahlend nickte er erst Schilling und dann dem Prinzen zu.
Atemlos verfolgte das Publikum dieses stumme Intermezzo. Nun legte Louis Ferdinand den Kopf in den Nacken. Gerade wollte er die Augen schließen, um sich zu konzentrieren, als er die immer noch unschlüssig am vorderen Bühnenrand stehende Eleonora bemerkte. Er nahm die Hände wieder von den Tasten und winkte sie zu sich heran.
Es war weniger eine Einladung als ein Befehl, als er nun auf den freien Platz an seiner Seite klopfte und ihr so gebot, sich neben ihn zu setzen. Mit klopfendem Herzen gehorchte Eleonora. Und das Publikum hielt den Atem weiterhin an.
»Jetzt hören Sie ganz genau zu, Leonora!«, befahl er ihr. Niemals hätte Eleonora geglaubt, einer preußischen Hoheit noch einmal so nahe zu kommen. Ganz genau konnte sie nun vernehmen, wie der Prinz tief Atem holte, beobachtete, wie er mit bebenden Nüstern erneut den Kopf in den Nacken legte, die Augen schloss und sich sekundenlang konzentrierte. Er öffnete sie wieder und nickte dem geduldig vor dem Orchester wartenden Balduin Schilling zu. Dieser hob den Dirigentenstab, und das kleine Kammerorchester setzte ein. Über drei Minuten zog sich das Vorspiel hin, aber in Sekundenschnelle war Eleonora von dieser Musik gefangen. Noch größer war ihre Faszination, als endlich der Klaviereinsatz kam. Atemlos beobachtete sie, wie leicht und dennoch kraftvoll die Hände des königlichen Prinzen über die Tastatur des Flügels glitten. Mal tanzten seine Finger, im nächsten Moment schlugen sie fest zu, um unmittelbar darauf wieder schmetterlingszart das Elfenbein der weißen oder das Ebenholz der schwarzen Tasten zu berühren. Es war eine völlig andere Musik, die nun den Raum füllte, die so gar nichts mit den ziselierten Rokokoweisen oder den verspielten Melodien Mozarts, von denen Schilling und sie auch einige Beispiele in ihrem Schäferspielchen untergebracht hatten, gemein hatte. Es war eine kraftvolle, eine leidenschaftliche, eine mitreißende, eine manchmal bedrohliche, dann im nächsten Moment wieder traurige Musik, die auf eine seltsame, fast unheimliche Weise zu dem jungen Preußenprinzen passte. Hatte Eleonora jemals solch eine Musik vernommen? Tonfolgen, die tiefe Emotionen hervorriefen, in manchen Sequenzen drohten zum Weinen zu bringen, vor Leidenschaft innerlich erbeben ließen, um unmittelbar darauf verborgen liegende, unheimliche Ängste zu schüren?
Es war erstaunlich, was das kleine Orchester leistete. Es lief zu ungeahnter Hochform auf. Wo kamen denn plötzlich die Bläser her? Eleonora hatte sie zuvor noch gar nicht wahrgenommen. Wann waren sie unbemerkt aus der kleinen Kulisse getreten? Wer hatte dafür gesorgt?
Eleonora vergaß, weiter darüber nachzudenken, weil die Musik sie erneut ergriff. Blitzartig kam ihr die Erkenntnis: Diese unvergleichliche Musik konnte nur von Beethoven stammen, dem einzigen zeitgenössischen Komponisten deutscher Herkunft, der beim alten Farini Gnade vor Ohren gefunden hatte. Ihre Vermutung war richtig. Genauso ihre spontane Eingebung, wie gut Musik und die Person des Prinzen zueinander passten.
»Sie hörten einen Auszug des dritten Klavierkonzerts von Ludwig van Beethoven«, sagte Louis Ferdinand, nachdem er geendet hatte und der Beifall endlich verklungen war. Verstohlen musterte Eleonora ihn von der Seite. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Er atmete heftig und schien erschöpft zu sein. Neuer Beifall hub an, den Schilling mit dem Klopfen seines Dirigentenstabs auf einen Notenständer unterbrach.
»Was uns Seine Königliche Hoheit an dieser Stelle aus Bescheidenheit verschwieg, ist die Tatsache, dass der Komponist dieses Werk ihm persönlich widmete«, sagte er lächelnd. Neuer Beifall, der nicht enden wollte. Aber als Louis Ferdinand die Hand hob, verstummte er in Sekundenschnelle.
»Dann möchte ich Ihnen auch nicht verschweigen, dass mir Ludwig van Beethoven das schönste Kompliment meines Lebens gemacht hat«, hub er an und ließ eine kleine Spannungspause entstehen. Das Publikum wartete still. »Der Prinz spiele gar nicht königlich oder prinzlich, sondern wie ein tüchtiger Klavierspieler«, zitierte Louis Ferdinand den berühmten Wiener Komponisten. Die Gäste lachten, Eleonora lachte mit ihnen. »Mein Können als tüchtiger Klavierspieler möchte ich ein weiteres Mal unter Beweis stellen«, fuhr er fort und griff wieder in die Tasten. »Und du, Leonora, gerade du, hör genau
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