Flamme der Freiheit
er weiterhin so gute Fortschritte macht, wird er in gut einem Monat schon reisefähig sein.«
»Alexander ist verletzt?«, hauchte Gräfin Dorothea tonlos.
Erst jetzt bemerkte der Prinz ihre Verstörung. »Haben Sie nichts davon gewusst?«, fragte er erstaunt.
»Nein!« Die Antwort kam wie ein Peitschenhieb.
Verwundert schaute Louis Ferdinand sie an. Eleonora biss sich auf die Unterlippe und senkte den Kopf. Ratlos ließ er seine Blicke zwischen den beiden Frauen hin- und herwandern.
»Sie haben wirklich nichts von der Verwundung ihres Enkels gewusst, Erlaucht?«, vergewisserte er sich.
»Die letzte Nachricht von ihm war das Gerücht, dass er sich der Armee von General Kutusow angeschlossen habe«, entgegnete Gräfin Dorothea, immer noch tonlos. Mit beiden Händen umklammerte sie die Lehne ihres Sessels, so fest, dass deren Knöchel spitz hervortraten.
»Es ist kein Gerücht, sondern entspricht der Wahrheit, genauso, wie es traurige Tatsache ist, dass er einen Steckschuss in der Hüfte und einen Streifschuss am Oberarm erlitten hat und zunächst in ein russisches Lazarett kam, wo er einige Wochen verblieb, weil er so lange bewusstlos war und man seine Identität nicht feststellen konnte«, erzählte Louis Ferdinand.
»Alexander spricht kein Russisch, in der Tat«, sagte Gräfin Dorothea mit belegter Stimme.
»Dafür beherrschen umso mehr russische Generäle die deutsche Sprache, wenn sie nicht gar selbst Deutsche sind«, erwiderte Louis Ferdinand verbindlich. Sekundenschnell hatte er die Brisanz der Situation wahrgenommen.
»Warum wusste meine Schwiegertochter, und warum ich nicht?« Gräfin Dorothea schien fassungslos. »Wer hat noch von seiner Verletzung gewusst?« Sie richtete ihren Blick in die Ferne und versank in dumpfes Schweigen. Eleonora hob den Kopf und sah Louis Ferdinand zum ersten Mal richtig ins Gesicht. Fragend schaute er sie an, nickte unauffällig in Richtung der erstarrten Gräfin, schaute dann zurück, mit hochgezogenen Augenbrauen, so lange und eindringlich, bis Eleonora nickte und damit die stumme Frage von Louis Ferdinand beantwortete. Dieser atmete tief durch. Entschlossen trat er auf die in sich zusammengesunkene Gräfin zu.
»Erlaucht, ich hatte wirklich keine Ahnung, dass man in Ihrem Hause die betrübliche Nachricht vor Ihnen geheim gehalten hat«, sagte er ruhig.
»Bislang ist noch niemals vor mir etwas geheim gehalten worden«, entgegnete die Gräfin heiser. »Niemals hätte ich gedacht, eines Tages Opfer eines solchen Komplotts werden zu müssen.«
»Mais non, mais non, votre Altesse. So dürfen Sie nicht denken, das ist kein finsterer Komplott, den man gegen Sie geschmiedet hat. Nennen Sie es lieber eine kleine Kabale, eine kleine Kabale aus Liebe.« Er lachte voller Stolz ob seiner kleinen gelungenen Anspielung auf das Schillersche Drama. Die Gräfin erwachte aus ihrer Erstarrung.
»Wie meinen Sie das, Euer Hoheit?«, erkundigte sie sich.
»Ich denke, man wollte Sie schonen«, vermutete Louis Ferdinand.
»Wer wollte mich schonen?«
Sie richtete sich auf, straffte die Schultern und löste die verkrampften Hände von den Armlehnen ihres Sessels. Dabei fasste sie Eleonora ins Auge. Am liebsten wäre diese im Erdboden versunken oder hätte sich klein genug gemacht, um im nächsten Mauseloch zu verschwinden.
»Hast du Bescheid gewusst?« Wieder knallte diese Frage wie ein Peitschenhieb durch den Raum.
Eleonora schwieg.
»Eleonora!«, sagte Gräfin Dorothea mit erhobener Stimme.
Diese nickte stumm.
»Und wer noch?«
Eleonora schwieg.
»Eleonora, ich will auf der Stelle wissen, wer noch an diesem Komplott beteiligt war«, sagte die Gräfin.
»Erlaucht, ich bitte Sie, das war doch kein Komplott, sondern das Schweigen ob der Verwundung Ihre Enkels und meines geschätzten Freundes Alexander hat nur einen Grund«, beschwor sie Louis Ferdinand.
»Und der wäre«, erkundigte sich die Gräfin schneidend.
Louis Ferdinand hob zu einer Antwort an, wurde jedoch von dem lauten Gong, der durch das ganze Haus ertönte, unterbrochen.
Es klopfte an die Tür, sie öffnete sich vorsichtig. Durch den Spalt wurde der würdig ergraute Schopf des alten Jean sichtbar. Mit dem sicheren Instinkt seiner jahrzehntelangen Erfahrung als dienstbarer Geist schien er die brenzlige Situation zu wittern. Blitzschnell gingen seine Augen zwischen den drei Anwesenden hin und her, ehe er sich ehrerbietig verneigte.
»Es wäre an der Zeit, sich zur Tafel zu begeben«, sagte er.
Die Gräfin erhob sich
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