Flamme der Freiheit
hinweg, der eigentlich überhaupt nicht vorstellbar scheint.«
»Ich habe Gräfin von Prewitz ungeheuer viel zu verdanken, unaussprechlich viel«, sagte Eleonora leise.
»Nicht nur ihr, sondern auch sich selbst und Ihrer großen Begabung«, widersprach Louis Ferdinand. »Ihre Musikalität hat Sie davor bewahrt, als geschundenes Dienstmädchen, arme Wäscherin, unglückliche Ehefrau oder Witwe eines Soldaten Ihr Dasein zu fristen. Ihr Ehrgeiz, Ihr Fleiß, Ihre Einsatzfreudigkeit und Ihre Disziplin haben Sie vor diesem drohenden Schicksal bewahrt, einen vorgezeichneten Lebensweg in andere Bahnen gelenkt. Damit haben Sie sich Ihre persönliche Freiheit erkämpft. Aber mit Ihrem Wissen, Ihren persönlichen Erfahrungen, diesen Verletzungen aus der tiefsten Kindheit sind Sie für die Rolle der Leonore geradezu prädestiniert.«
»Es erstaunt mich wirklich, wie viel Sie über mich wissen. Über mich, die Tochter eines einfachen Potsdamer Feldwebels«, wiederholte Eleonora überwältigt seine Worte.
»Meine Quellen sind eben ergiebig«, erwiderte Louis Ferdinand. »Eine ganz besonders«, setzte er hinzu und schaute sie bedeutungsvoll an.
Eleonora begriff sofort und wurde dunkelrot. Verlegen senkte sie den Kopf. Liebend gern hätte sie erfahren, was Alexander über sie erzählt hatte. Dass er überhaupt mit Louis Ferdinand über sie gesprochen hatte, mit einem preußischen Prinzen? Eleonora erinnerte sich ganz genau, mit welcher Verehrung und Hochachtung Alexander in jenem Sommer seines Besuchs auf Sophienhof stets von diesem geredet hatte.
»Aha, ich habe mich also nicht geirrt«, stellte nun ebendieser verehrte Prinz, der sie bis vor wenigen Minuten noch über die Tanzfläche geschwenkt hatte, bedeutungsvoll fest.
Eleonora schwieg. Lieber hätte sie sich die Zunge abgebissen, als sich nun zu erkundigen, was die beiden über sie gesprochen hatten.
»Eleonora, schauen Sie mich an!«, befahl Louis Ferdinand in einem überraschend scharfen Ton. Eleonora gehorchte. »Sich von falschen Gefühlen und Illusionen zu trennen kann auch ein Akt der Befreiung sein, Eleonora«, sagte er und schaute sie eindringlich an.
»Freiheit ist mir sehr wichtig.« Wo war ihre Stimme geblieben? Eleonora räusperte sich.
Louis Ferdinand atmete tief durch und straffte die Schultern. »Freiheit bedeutet mir alles, in jeder Hinsicht«, behauptete er. »Und ganz besonders in persönlicher.« Er fixierte sie und schwieg.
»Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.« Eleonora war verwirrt.
»Das wissen Sie ganz genau«, widersprach er und sah sie noch fester an. »Sie können weder sich noch mir etwas vormachen.«
Ein strenger Zug machte sich um seinen sinnlichen Mund bemerkbar, als er sie konzentriert und unerbittlich anschaute. Jetzt stand ein preußischer General vor ihr. Sekundenlang blieben seine Augen an ihren Lippen hängen, schien in ihm ein Gedanke aufzukeimen, den er jedoch sofort wieder verwarf. Aber ein charmantes Lächeln ließ seine eben noch so strengen, geistesabwesenden Züge aufleuchten. Da war er wieder, Prinz Louis Ferdinand, Charmeur und Liebling der Frauen.
»Sie müssen mir etwas versprechen, Eleonora«, bat er.
»Was denn, Königliche Hoheit?«, erkundigte sich Eleonora atemlos.
»Werden Sie eine Leonore und niemals ein braves Lorchen!«
Er verbeugte sich vor ihr, nahm ihre Hand, küsste sie zum Abschied und sah ihr noch einmal in die Augen, bezwingend und fordernd zugleich. Eleonora konnte gar nicht so schnell schauen, wie er in der Menge der Anwesenden untergetaucht und schließlich endgültig verschwunden war.
»Nora, Nora, du scheinst heute Abend ja eine richtige Eroberung gemacht zu haben«, neckte sie Sophie noch in derselben Nacht. Es hatte noch einige Stunden gedauert, bis sich die letzten Gäste endlich aus dem Prewitzschen Stadtpalais verabschiedeten. Wie in alten Zeiten hatten die Schwestern die Ereignisse des vorangegangenen Abends vor dem Zubettgehen nochmals vor dem geistigen Auge Revue passieren lassen. Und wie in alten Zeiten waren sie darüber in Streit geraten, lieferten sich eine hitzige Auseinandersetzung, untermalt von Eleonoras sanfter Begleitung am Flügel.
Schließlich waren die Schwestern in ein befreites Gelächter ausgebrochen, waren sich um den Hals gefallen und hatten Eleonora umarmt, ehe sie sich endgültig zu Bett begaben.
»Bei dem Gedanken daran, dass wir uns in wenigen Tagen schon wieder trennen müssen, wird mir ganz weh ums Herz«, seufzte Sophie wehmütig und drehte sich
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