Flamme der Leidenschaft - Roman
so bezwingende Emotionen mit, dass Maggie der Atem stockte. Verwirrt und reglos spähte sie in das Dunkel jenseits der Rampenlichter.
Jetzt kam der Sänger näher. Voller Zuversicht bekundete er seine Bewunderung für Odabella und erklärte, er würde ihr eine Gunst erweisen. Maggie zögerte. War das eine besondere Prüfung? Die Augen zusammengekniffen, versuchte sie die Gestalt des Mannes zu erkennen. » Fammi ridar la spada!«, erwiderte sie. »Gib mir das Schwert zurück!«
»Nimm meines!« Nun ertönte seine Stimme etwas lauter, und sie sah die Umrisse des Mannes vor dem Proszenium.
Mechanisch begann sie wieder zu singen, unfähig, ihren Blick von »Attila« loszureißen. Sie schwor ihm grausame Rache, drohte, ihn mit der Waffe zu töten, die er ihr gegeben hatte. Da sprang er leichtfüßig auf die Bühne. Kein nebelhafter Schemen mehr, stand er vor ihr, von hellem Licht übergossen, ein Fremder in einem eleganten schwarzen Gehrock, hochgewachsen und kräftig gebaut, die Haut leicht gebräunt, was ihn von echten Londonern unterschied.
Wer ist das?, überlegte sie verstört und fühlte sich in die
Enge getrieben. Wo war Mr Larson? Warum erlaubte er diesem Mann, die Bühne zu betreten?
Ohne sein Stichwort zu verpassen, ging er zu ihr, ein arroganter König Attila, in einer stolzen Haltung, die sicher nicht gespielt war.
Reflexartig hob sie das Kinn, ihr ganzer Körper spannte sich an. Dank ihrer erprobten Willenskraft konnte sie die Stellung halten. Jetzt spielte sie nicht mehr die tapfere Odabella. Wer immer er sein mochte, er war ein einflussreicher Gentleman und sie selbst ein Niemand. Die Aufmerksamkeit, die er ihr schenkte, verhieß nichts Gutes.
Auch Attila zauderte, ehe er die Wirkung beschrieb, die diese furchtlose Kriegerin auf ihn ausübte. Dicht vor ihr hielt er inne. Um zu ihm aufzublicken, musste sie den Kopf in den Nacken legen. Da gestand er ihr sein verwundetes Herz, ergriff ihre Hand und kniete nieder.
Um sich nicht zu befreien, besser gesagt um nicht zu flüchten, musste sie ihre ganze Selbstkontrolle aufbieten. Ihre Sinne, von den Erfahrungen auf der Straße geschärft, ließen alle Alarmglocken läuten. Das ist nicht richtig, das ist gefährlich! Trotzdem rührte sie sich nicht. Niemals würde sie einer Schwäche nachgeben. Denn irgendwo im dunklen Zuschauerraum saß Mr Larson, von dem ihre Zukunft abhing. Ihre letzte Chance durfte sie nicht verderben. Eher würde sie alles ertragen.
»Vielen Dank für Ihren Vortrag, Miss King!«
Gleichmütig und gelangweilt drang der Ruf aus der Finsternis. Mr Larson. Sie hörte seine Worte. Doch sie konnte ihren Blick nicht von dem Mann abwenden, der vor ihr
kniete. Wahrscheinlich hatte der Covent-Garden-Direktor sie gar nicht wiedererkannt. Aber sie erinnerte sich an seine Stimme, nachdem sie in all den Jahren zwischen den Kulissen gestanden hatte, eine weitere unbedeutende Gestalt, eifrig bestrebt, seine Anweisungen zu befolgen.
»In der Tat, Sie sind begabt, Miss«, fuhr er fort, »Sie besitzen superbe schauspielerische Talente. Aber Ihre Stimme klingt zu rau. Und obwohl Sie eine Odabella oder sogar eine Lady Macbeth darstellen könnten, sind Sie einfach zu klein für solche Rollen. Wenn Sie sich ausbilden lassen, werden Sie meinen Ansprüchen vielleicht trotz Ihrer geringen Körpergröße genügen. Vorerst rate ich Ihnen, ans Varieté zurückzukehren. Oder bemühen Sie sich um ein Engagement an einem Theater.«
Der Gentleman, der vor ihr auf den Knien lag, musterte sie so durchdringend, dass sie Mr Larsons Worte kaum registrierte. In ihrem Magen entstand ein flaues Gefühl. Aber die erwartete Übelkeit stellte sich nicht ein. Eigentlich empfand sie fast gar nichts, sie war viel zu verwirrt und benommen.
Johanniskraut, dachte sie vage. Oder Brandy. Im Rampenlicht sah sie die Augenfarbe des Mannes. Nun erhob er sich, und sie musste erneut zu ihm aufschauen.
»Begleiten Sie mich, Miss King. Vielleicht kann ich Ihnen eine Arbeit anbieten, die Ihnen zusagt.« Seine Sprechstimme glich seiner Singstimme, tief und wohlklingend, mit einem heiseren Unterton, der wie eine Warnung in Maggies Ohren dröhnte.
Was habe ich schon zu verlieren?, dachte sie, schluckte
krampfhaft und nickte. Schweigend ließ sie sich in die Kulissen an der linken Bühnenseite führen, weg von den anderen Bewerberinnen, die ihrem Auftritt entgegenfieberten, weg von Perle, die auf die Rückkehr ihrer Freundin wartete.
Im Dunkel hinter der Bühne blieb der Gentleman nicht
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