Flamme der Leidenschaft - Roman
ängstliche alte Witwe Merrick fühlte sich hinter ihren billigen Schlössern sicherer.
Lord Edgington runzelte die Stirn. »In Zukunft erwarte ich etwas mehr Respekt von Ihnen.«
Verwirrt hob sie die Brauen. »Was meinen Sie, Sir?«
Er warf ihr einen scharfen Blick zu. »Wissen Sie das wirklich nicht? Sie dürfen mich nicht anrempeln.« Dann lachte er, halb ungläubig, halb belustigt, und öffnete die Wagentür. Unbewegt blieb Maggie stehen. »Nun?«, fragte er und wies mit dem Kinn ins Innere der Kutsche.
Sollte sie tatsächlich zuerst einsteigen? Wie eine Lady? Sie blinzelte nervös, dann folgte sie der Aufforderung.
»Am besten beginnen Sie schon jetzt, Ihre Rolle zu lernen«, bemerkte er. Sekundenlang verdunkelte seine breitschultrige Gestalt das helle Viereck der Tür, bevor er Maggie gegenüber Platz nahm. »Zum Chelsea House, Stephens«, befahl er und schloss den Wagenschlag.
An diesem Tag fuhr Maggie zum ersten Mal in einer Kutsche, ohne sich die Hintergedanken einer Diebin oder Trickbetrügerin zu machen. Kleine Missetaten hatte sie in Vehikeln verübt, die nach Schimmel oder billiger Farbe rochen. Wie seltsam, fast unnatürlich, auf luxuriösem Samt zu sitzen und zu wissen, dass sie diesmal mehr oder weniger ehrbaren Zwecken diente.
Die Räder begannen zu rollen, und die Nähe Seiner Lordschaft beunruhigte sie genauso wie bei der Fahrt zu ihrer Wohnung. Jetzt fühlte sie sich sogar noch elender, denn inzwischen hatte er sie taxiert, und er fand zweifellos, sie würde seinen Ansprüchen nicht genügen. Damit sie ihn nicht anschauen musste, schob sie den Vorhang ein wenig beiseite und betrachtete die Geschäfte, die vorbeiglitten.
»Hoffentlich habe ich Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereitet, Miss King.«
Erstaunt wandte sie sich zu Lord Edgington. Seine Miene wirkte gelangweilt, sein Blick hellwach. Bedeuteten seine Worte ein Friedensangebot? »O nein«, versicherte sie, obwohl sie das Gegenteil befürchtete. Bald würde Danny Wind von ihrem grandiosen neuen Auftrag bekommen. Aber was konnte er schon tun? Sie würde seiner Reichweite entrinnen und in eine Welt übersiedeln, wo er keine Macht ausübte. Zumindest vorerst nicht.
Sie entsann sich, wie der Baron in ihrer Küche gestanden und den winzigen Raum vollkommen ausgefüllt hatte. Bei diesem Gedanken empfand sie eine ungewohnte Scham. So stolz war sie gewesen, dass sie es so weit gebracht und die Schuppen, wo sich die Gauner zusammenrotteten, die armseligen Hütten und billigen Pensionen hinter sich gelassen hatte, sogar die gemieteten Kammern. Jetzt besaß sie eine ganze Wohnung, mit ihren eigenen Möbeln. Aber so großartig sie diese Errungenschaften auch fand, für einen Gentleman wie Seine Lordschaft zählten sie gar nichts. Nun schämte sie sich für den lächerlichen Spiegel der alten Witwe Merrick, für die schäbige Wohnung, für Frankies ungehobeltes Benehmen, für Harrys ausgefranste Manschetten und für Nan. Arme Nan.
»So benimmt sie sich nicht immer«, hörte sie sich unvermittelt sagen.
»Wer?« Lord Edgington wandte sich zu ihr. Die Brauen erhoben, bezeugte er höfliches Interesse.
»Nan. So führt sie sich nicht immer auf.« Maggie presste
ihr Bündel fester an die Brust. »Und es ist nicht ihre Schuld, dass ihr Dinge passiert sind, die kein Mensch durchmachen dürfte.«
»Nun, das geht mich nichts an«, bemerkte er, aber seine Miene zeigte einen fast einladenden Ausdruck, als würde er einer vagen Neugier nachgeben, um sich die Zeit zu vertreiben.
»Ich weiß, wie Sie Nan angeschaut haben«, erwiderte sie erbost über sein lässiges Verhalten. Natürlich, ihre Freundin ging ihn nichts an. Keiner, der zu ihrer Truppe gehörte. Für ihre Gefährten war nur sie allein verantwortlich. »Sie haben Nan wie irgendwas angestarrt, das der Mann von der Müllabfuhr vergessen hat. Im Grunde ist sie ein gutes Mädchen. Und sie liebt ihre Schwester und ihren kleinen Sohn. Für die beiden würde sie alles tun. Aber an manchen Tagen ist die Welt hässlich und voller böser Erinnerungen. Sie flieht in die Kneipen, wo es hell ist. Da geht es immer fröhlich zu …« Ihre Stimme erstarb. Unsicher senkte sie den Blick und zupfte an dem Schal, der ihr kleines Bündel umhüllte. Warum redete sie mit diesem feinen Pinkel, der niemals verstehen würde, was sie meinte? In seiner glanzvollen Welt gab es keine billigen Spiegel oder buntes Glas, nur echte Juwelen und Kristall. Die Reichen tranken Wein, um ihr Leben zu genießen. Und die Armen, um
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