Flamme der Leidenschaft - Roman
amüsierten.
»Jetzt ist Sally in der zweiten Dachkammer zur Rechten«, berichtete das Kind. »Ihre Freundin sollte hier in einem Zimmer arbeiten, statt auf der Straße rumzulaufen. Bei uns müssen sich die Kerle benehmen«, fügte sie hinzu und wies auf die zwei Rausschmeißer.
»Danke, Nell«, sagte Maggie, plötzlich wieder mit ausgeprägtem Cockney-Akzent.
Nachdem Charles diese Information erhalten hatte, begann er, die Treppe hinaufzusteigen. Je früher sie Nan fanden, desto eher konnten sie nach Chelsea zurückfahren.
»Moment mal, Sie müssen nicht mitkommen!« Maggie eilte hinter ihm her. »Das schaffe ich schon. Nan will Sie sicher nicht sehen.«
»Wie ich bereits sagte, ich schütze mein Investment.« Warum er so hartnäckig auf seinem Standpunkt beharrte, wusste er nicht. Vielleicht, weil Maggies Verhalten ihn irritierte. Gewiss, es war gut und schön, wenn ein Mädchen nach Unabhängigkeit strebte. Aber in ihrem Fall grenzte es an Verachtung, die seine Autorität beleidigte.
»Die können Sie auch hier unten schützen, Sir«, entgegnete sie.
Statt zu antworten, zuckte er nur die Schultern, und sie schnaufte erbost. Doch sie verzichtete auf einen weiteren Protest.
Im ersten Stockwerk sah er einen gut beleuchteten Korridor mit einem scharlachroten Teppich. Hinter den Türen erklangen kichernde Stimmen, ein Stöhnen, hin und wieder ein Schrei. Wäre Charles allein gewesen, hätte er die verräterischen Geräusche ignoriert. Aber weil Maggie ihm folgte, spähte er über seine Schulter, um ihre Reaktion zu beobachten. Gleichmütig hob sie die Brauen, als wollte sie fragen: Was haben Sie denn erwartet?
Nein, sie war wirklich keine Unschuld.
Sie stiegen zur zweiten Etage hinauf, und Maggie schlüpfte an ihm vorbei, zu einer halb verborgenen Dienstbotentreppe, die zum Dachboden führte. Dann folgten sie einem schmalen, nur von einer schwachen Gaslampe erhellten Gang. Charles öffnete eine Tür zur Rechten und betrat einen winzigen Raum, der noch dichter bevölkert war als die Küche in Maggies Wohnung. Neben dem Eingang lehnte Harry, der Schreiber, an der Wand. Zusammengesunken saßen die beiden Kinder auf einem schmalen Bett, und in der Mitte der Kammer kniete Moll am Boden und umarmte ein schluchzendes Mädchen. Nan. Ihr Haar war wild zerzaust, ihr tränennasses Gesicht voller Schrammen und blauer Flecken.
Bei diesem Anblick hielt Charles den Atem an. Obwohl er Giles’ kurzen Bericht in Chelsea gehört hatte, war ihm das Ausmaß des Überfalls nicht bewusst gewesen. So etwas stieß seinesgleichen nicht zu. Unbehelligt konnten die Mitglieder
seiner Gesellschaftsschicht durch die dunkelsten Gassen wandern.
»Hast du dir was gebrochen?« Maggie drängte sich an Charles und Harry vorbei und sank neben dem weinenden Mädchen auf die Knie.
Wortlos schüttelte Nan den Kopf, schluchzte noch lauter, und Sally starrte Charles feindselig an. »Was treibt er hier?«
»Reg dich ab, er macht keinen Ärger«, erwiderte Maggie.
»So was ertrage ich nicht mehr. Maggie!«, platzte Nan heraus und kam einem drohenden Streit zuvor. »Das kann ich nicht mehr aushalten!« Neue Tränen strömten über ihre Wangen. Da begann auch das kleine Mädchen auf dem Bett zu weinen und streichelte den Jungen, in einem vergeblichen Versuch, ihn zu trösten. Sallys Gesicht verzerrte sich, und sie umschlang Nan noch fester. Dabei warf sie Harry einen flehenden Blick zu.
Gehorsam ergriff er Maggies Ellbogen und zog sie zur Tür. Nach einem kurzen Seitenblick auf Charles erzählte er mit leiser Stimme: »Drei Schläger packten sie und stießen sie in die Gasse hinter der The Gilly Flower - so schnell, dass es niemand sah. Erst zertrümmerten sie den Karren, schlugen sie grün und blau, und dann haben sie die arme Nan vergewaltigt. Sie sagten, Danny hätte sie geschickt.«
Maggie umklammerte Harrys Arm. Trotz seiner Bestürzung über die tragischen Ereignisse wünschte Charles, sie würde sich an ihm festhalten, nicht an diesem Burschen im fadenscheinigen Anzug.
»Jetzt will Sally nicht, dass wir in die Wohnung zurückkehren«,
fuhr Harry fort. »Aber das muss ich … Wenn ich verschwinde, schickt mir der Anwalt keine Arbeit mehr. So unzuverlässig darf ich nicht sein. Das kann ich mir nicht leisten.«
Im schwachen Lampenschein wirkte Maggies Gesicht kalkweiß. Langsam nickte sie. »Rück einen Stuhl unter die Türklinke, wenn du daheim bist. Und sei vorsichtig. Sag Giles, wenn er nach Hause geht, versohle ich ihm den
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