Flamme von Jamaika
ihre Hinrichtung warten.»
Ich hab sie gesehen, dachte Lena. Am Tag nach meiner Ankunft. Aber ich habe ihr Schicksal nicht ausreichend hinterfragt.
«Er hat behauptet, sie wären Rebellen», erwiderte Lena, wohl wissend, dass dies kein Argument war, um einem Menschen leichtfertig das Leben zu nehmen.
«Sie sind keine Rebellen», erklärte Jess hartnäckig. «Sie gehören weder zu uns, noch haben sie irgendetwas getan, weswegen man sie so hart bestrafen müsste. Niemals hätten sie einen Aufstand gegen die Pflanzer geplant. Man wollte sie verkaufen und von ihren Familien trennen. Aus einer günstigen Gelegenheit heraus haben sie sich entschlossen zu fliehen. Sie waren lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort. Und sie sind der Grund, warum du hier bist. Nur im direkten Austausch für dich können wir sie noch retten.»
In der Ferne grollte das Gewitter, das sich bereits angekündigt hatte und nun stärker wurde. Ein Sturm fuhr durch die Bäume und brachte sie gefährlich ins Wanken. Von ihrem schlechten Gewissen gepeinigt, strich sich Lena die Haare aus dem Gesicht, bemüht, dem intensiven Blick ihres Gegenübers nicht auszuweichen. In ihr kämpften die widersprüchlichsten Gefühle. Sie war hin- und hergerissen zwischen dem, was sie gerade gesehen hatte, und dem, was Jess von ihr verlangte.
«Unter diesen Umständen kann ich erst recht nicht zu Edward zurück», entfuhr es ihr mit bebender Stimme. «Nach allem, was ich durch dich erfahren habe, kann ich ihm nicht mehr in die Augen schauen, ohne an den Teufel persönlich zu denken.»
«Obwohl ich es dir hoch anrechne, dass du das Unrecht der Sklaven erkennst, wäre es fatal, wenn der Gouverneur einem Austausch zustimmt und du dich weigerst, zu deinem Mann zurückzukehren. Neben dem Verrat unseres Standortes wäre es das Schlimmste, was du uns – was du mir – antun könntest», erwiderte er mit regloser Miene. «Wenn du nach deiner Freilassung nicht nach Redfield Hall zurückkehrst, würde der Eindruck entstehen, dass meine Leute und ich nicht Wort gehalten, sondern dir etwas angetan haben. Und dann …»
Er sprach nicht weiter, doch Lena ahnte, was es bedeutete. Sie wusste nun überhaupt nicht mehr, wie sie sich ihrer Verantwortung entziehen sollte. Jess blickte ihr ernst in die Augen.
«Im Übrigen würde Cato, unser Anführer, mich dafür verantwortlich machen, wenn der Austausch danebengeht. Ich müsste dann mit meinem Leben dafür bezahlen. So oder so.»
Lena biss sich auf die Unterlippe und versuchte nachzudenken, was ihr in ihrer Verwirrung nur leidlich gelang.
«Ich werde nicht weglaufen», sagte sie schließlich und schaute ihm tief in die Augen. «Ich werde tun, was ich muss …» Sie zögerte einen Moment. «Nein», sagte sie schließlich. «Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um euch und allen Sklaven dieser Insel zu helfen.»
Plötzlich blitzte es, und ein gewaltiger Donnerschlag ließ die gesamte Umgebung erzittern. Wassermassen prasselten im Nu auf sie nieder. Jess war sofort auf den Beinen und zog sie hoch.
«Wir müssen hier schnellstens weg, wenn wir nicht vom Blitz getroffen werden wollen!»
Bevor sie auch nur protestieren konnte, setzte er ihr die Augenbinde auf, hob sie hoch und warf sie regelrecht über seine breiten Schultern. Lena stieß einen verhaltenen Schrei aus, als er mit ihr zu rennen begann. Doch alles Strampeln half nichts, Jess ließ sich nicht beirren und hechtete mit ihr quer durch den Busch. Äste und Blätter streiften sie, während unweit von ihnen die Blitze einschlugen, sodass es kurzzeitig sogar unter der Augenbinde hell wurde.
Als sie endlich das Gefängnis erreicht hatten, setzte er sie sanft auf ihrer Strohmatte ab. Ihre Haare waren durchnässt, ebenso wie seine. Fürsorglich entfernte er ihre Augenbinde und entzündete mit einem Feuerschläger eine Fackel, die er vor den Gitterstäben in einer Halterung befestigte. Draußen tobte der Sturm mit unvermittelter Härte, und der Regen rauschte wie ein Wasserfall über die Höhle. Drinnen war es vergleichsweise still. Ja, es hätte sogar gemütlich sein können, wenn sie nicht von diesen Bildern verfolgt worden wäre und den Gedanken, die daran geknüpft waren.
Mit einem Seufzer lehnte sie sich an die Felswand zurück. Ihr war immer noch schwindlig. Plötzlich erschrak sie, weil aus der Dunkelheit ein Rascheln zu hören war. Jess, der sich neben ihr niedergelassen hatte, merkte ihre Angst und sprang auf, die Machete, die er immer am Gürtel trug,
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