Flamme von Jamaika
auf.
«Dann wäre er ein ziemlicher Idiot. Welcher Mann würde eine so schöne Frau einem dahergelaufenen Rebellen überlassen?»
Seine heißen Blicke, aus denen pure Bewunderung sprach, schmeichelten ihrer verwundeten Seele. Dieses Siegerlächeln, das er urplötzlich aufsetzte, erinnerte sie für einen winzigen Moment an Edward, als sie ihm ihr Jawort zur Verlobung gegeben hatte. Und auch was die Intensität der Komplimente betraf, stand Jess seinem herausgeputzten Halbbruder in nichts nach. Und doch war er aus anderem Holz geschnitzt. Härter und ehrlicher. Die plötzliche Erkenntnis, dass sie Jess viel lieber bei
Almack’s
getroffen hätte, ließ sie erschauern. Und für einen Moment sah es so aus, als ob er auf ihre Bereitschaft, sich von ihm küssen zu lassen, eingehen würde. Doch dann straffte er sich.
«Du hast bestimmt Hunger», sagte er.
Auch wenn ihr diese Aussage durchaus zweideutig erschien, meinte er offenbar die harmlosere Variante.
«Was hältst du davon, wenn ich uns etwas zu essen organisiere und du erzählst mir noch ein bisschen von dir? Wo du herkommst und wie es dort ist, wo du vorher gelebt hast? Ich habe keine Vorstellung von Deutschland. Mein Horizont erstreckt sich lediglich auf Kuba und Jamaika. Beinahe wäre ich in Südamerika gelandet, aber daraus ist dann nichts geworden.»
«Meine Geschichte ist nicht so spannend wie deine und schon gar nicht so tragisch», warnte sie ihn.
«Das macht nichts», sagte er lächelnd. «Noch haben wir Zeit, die wir uns irgendwie miteinander vertreiben müssen.»
Bevor sie protestieren konnte, war er aufgestanden und hatte ihrem Gefängnis den Rücken gekehrt. Dass er die Tür hinter sich mit einem Schlüssel verriegelte, versuchte sie zu ignorieren. So viel zum Vertrauen, das er ihr entgegenbrachte.
«Ich bin gleich wieder da», rief er ihr beinahe entschuldigend zu und war schon verschwunden.
Zeit, die wir uns irgendwie miteinander vertreiben müssen?
Lena schaute ihm nach. Wie er das wohl gemeint hatte? Sie mochte es sich einbilden, aber mittlerweile wurde sie das Gefühl nicht los, dass er ihre Gegenwart geradezu inhalierte. Und obwohl ihr das unter den gegebenen Umständen ziemlich merkwürdig erschien, erging es ihr kein bisschen anders.
Kapitel 17
September 1831 // Jamaika // Die Flamme von Jamaika
A ls Edward mit seinen restlichen Leuten am späten Nachmittag im Gouverneurspalast von Spanish Town eintraf, wartete eine böse Überraschung auf ihn. Sir Randolph Patterson, der erste Sekretär des Gouverneurs, empfing ihn im sonnendurchfluteten Schreibzimmer seines Vorgesetzten und hielt ihm einen abgegriffenen Brief entgegen. «Suchen Sie Ihre Frau?», fragte der geschniegelte Mittvierziger geradezu provokant.
«Woher wissen Sie …?»
Edward war ehrlich verblüfft. Mit einem Mal gingen ihm tausend Gedanken durch den Kopf. Hatte Lena sich etwa in ihrer Verzweiflung über sein Fehlverhalten an die Gouverneursgattin gewandt und dort Zuflucht gesucht? Nein – ziemlich unwahrscheinlich – in einem solchen Fall hätte sie ihre Gesellschafterin wohl kaum mitten in der Wildnis zurückgelassen.
«Das wurde heute Morgen anonym im Postzimmer des Parlaments abgegeben», erklärte Sir Randolph und wedelte Edward mit dem vergilbten Blatt Papier vor der Nase herum. «Es handelt sich um ein Erpresserschreiben der
Flamme von Jamaika
», führte Sir Randolph in einem besserwisserischen Ton aus, der Edward überhaupt nicht gefiel.
«Die Existenz dieser Schweinehunde ist mir nichts Neues», warf Edward ungeduldig ein, «aber was hat das mit dem Verschwinden meiner Frau zu tun?»
«Wenn wir dem, was hier steht, Glauben schenken, wurde sie von diesen Rebellen entführt. Sie verlangen die Freilassung der drei zum Tode verurteilten Neger, die zurzeit noch in Fort Charles eingekerkert sind. Jene Sklaven, die Sie als Anführer der Heimatmilizen geschnappt und nach Spanish Town gebracht haben. Möglicherweise handelt es sich um einen Racheakt.»
Edward erwiderte nichts, weil er vergeblich versuchte, zwischen Lenas offensichtlicher Flucht vor ihm und diesen verdammten Aufrührern einen Zusammenhang zu erkennen.
«Ich weiß nicht, ob Sie schon informiert wurden», fuhr Sir Randolph gnadenlos fort, «aber vor einiger Zeit haben schon einmal Rebellen versucht, die drei Todeskandidaten aus dem Gerichtsgefängnis von Spanish Town zu befreien. Dabei sind zwei Wachleute getötet worden. Wir gehen davon aus, dass es sich im Falle der Entführung Ihrer Gattin um
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