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Flamme von Jamaika

Flamme von Jamaika

Titel: Flamme von Jamaika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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Spitznamen, den sie zu Beginn als Demütigung empfunden hatte. Doch nun schien es, als wolle er mit der Bezeichnung die Stimmung auflockern. «Ich dachte mir, ein bisschen Abwechslung könnte dir guttun.»
    «Jetzt?», fragte sie ungläubig.
    Er war den ganzen Abend ziemlich einsilbig gewesen und hatte, während sie ihre Gemüsesuppe schlürfte, kaum ein Wort gesprochen. Es war, als ob er über etwas nachgegrübelt hätte, aber er verriet ihr nicht, worüber, sondern hatte sie nur ständig so merkwürdig angeschaut.
    «Es ist dunkel, und die meisten schlafen», bekannte er lapidar. «Die beste Zeit, um unbemerkt ein wenig draußen herumzuspazieren.»
    «Hast du nicht gesagt, dein Anführer sieht es nicht gerne, wenn du mit mir allzu oft die Höhle verlässt?»
    Sie sah ihn unsicher an. Tagelang waren sie nicht mehr draußen gewesen, obwohl sie gerne gebadet hätte. Und nun das?
    «Nimm das nicht wörtlich. Solange ich für dich die Verantwortung übernehme und dafür Sorge trage, dass du nichts Verbotenes siehst, können wir tun und lassen, was wir wollen. Nicht umsonst hat man mir freie Hand gegeben, mit dir zu verfahren, wie es mir beliebt.»
    Mit dir zu verfahren, wie es mir beliebt?
Lena war von der schroffen Art irritiert. Was hatte er vor? Urplötzlich spielten sich albtraumhafte Szenen in ihrem Kopf ab. Vielleicht hatte der Gouverneur sich nun doch endgültig geweigert, die zum Tode verurteilten Männer freizulassen. Vielleicht hatte Jess sich deshalb die ganze Zeit so seltsam benommen. Was wäre, wenn er den Befehl erhalten hatte, sie zu töten?
    «Du machst mir Angst», sagte sie ehrlich, nachdem er sie beinahe grob auf die Füße gezogen hatte.
    Sie spürte die Anspannung, die in der Luft lag, als sie versehentlich zusammenprallten. An seinen markanten Gesichtszügen glaubte sie eindeutig ablesen zu können, dass etwas nicht stimmte. Dabei hatte er Tage zuvor noch versichert, dass er alles tun würde, um sie zu schützen. War sie dabei, den Verstand zu verlieren?
    Sie hatte sich, wenn sie ehrlich zu sich war, unbeabsichtigt in einen skrupellosen Rebellen verliebt, und womöglich nutzte er ihr Vertrauen nur schamlos aus. In Wahrheit würde er wahrscheinlich nicht zögern, sie wie eine Ziege zu töten, die man hegte und pflegte, solange sie Milch gab, und eiskalt zur Schlachtbank führte, wenn sie einem nicht mehr nützlich war.
    «Ich hab dir schon mehr als ein Mal gesagt, dass du keine Angst zu haben brauchst, und schon gar nicht vor mir», murmelte Jess, als könne er ihre trüben Gedanken lesen, und beließ es dabei.
    Am liebsten hätte sie ihn angeschrien, dass er ihr die Wahrheit sagen sollte. Doch das kam ihr unwürdig vor. Was wäre, wenn sie ihm unrecht tat?
    Im Schein des Öllichtes leuchteten seine bernsteinfarbenen Augen unnatürlich auf, als er ihr seine warmen Hände entgegenstreckte, um ihr trotz der Dunkelheit die Augenbinde anzulegen.
    Warum sollte er ihr noch die Augen verbinden, wenn er sie wenige Augenblicke später töten würde? Vielleicht gerade deshalb, zischte eine innere Stimme. Damit er ihr nicht in die Augen schauen musste, wenn er sie erstach oder erdrosselte oder einen Abgrund hinunterstürzte. Verzweifelt versuchte Lena, die Bilder ihres möglichen Todes wieder loszuwerden. Sie spürte, wie ihr Begleiter sie sanft bei der Hand nahm und nach draußen führte. Obwohl er mit seinen langen Haaren und den dunklen Bartstoppeln nicht gerade vertrauenswürdig wirkte, hatte ihr seine Gegenwart bisher immer ein unerklärliches Gefühl der Geborgenheit vermittelt.
    Dass er alles, was er mit ihr unternahm, möglichst unauffällig tun musste, lag angeblich daran, dass niemand von ihrer schon fast freundschaftlichen Beziehung wissen durfte. Nach außen hin musste es so aussehen, als ob Jess lediglich für ihre Grundbedürfnisse sorgte und sie darüber hinaus so schlecht wie nur möglich behandelte.
    Die Art, wie er ihre Hand hielt, beruhigte ihr aufgewühltes Gemüt ein wenig. Würde ein Mann, der sie töten wollte, sie so sanftmütig davonführen? Ja, das würde er, sagte die Stimme der Angst, die ihr Innerstes gefangen hielt.
    Vollkommen durcheinander, schenkte sie den Ästen und Blättern kaum Beachtung, die ihr ins Gesicht schlugen, während sie schnellen Schrittes in den Dschungel vordrangen. Das Tempo, das er gewählt hatte, erschien ihr hektischer als zuvor. Atemlos lauschte sie den Geräuschen der Nacht, doch nichts schien ihr so laut wie ihr eigener, rasender Herzschlag. Die Luft war

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