Flamme von Jamaika
wenn man Jones schließlich abführte. Bestenfalls trat sie von ihrer Absicht zurück, dem windigen Sklaven noch vor ihrem Tod die Freiheit zu schenken und ihm ihr gesamtes Erbe zu überschreiben. Im schlechtesten Fall veranstaltete sie einen unbotmäßigen Aufstand, um ihn vor dem Galgen zu retten.
«Wenn sie sich schlimm genug aufführt», raunte Lord William mit grimmiger Freude seinem Sohn zu, «können wir sie vor Zeugen an Ort und Stelle entmündigen lassen, und die Plantage fällt laut Testament ihres verstorbenen Gatten an dich.»
Edward lächelte zustimmend, sein Vater hatte wirklich an alles gedacht. Aus diesem Grund sollte nicht nur der Advokat der Delegation anwesend sein, sondern auch Dr. Lafayette, den Lord William ebenfalls aus Fort Littleton bestellt hatte. Notfalls würde er die Geisteskrankheit von Lady Fortesque mit Brief und Siegel bescheinigen.
«Oh mein Gott, Edward, das alles tut mir so leid», rief Lady Elisabeth, als sie die honorige Gesellschaft von Ehrenmännern in ihren lichtdurchfluteten Salon führte, während die Soldaten draußen hinter den Ställen warteten. Edward zierte sich ein wenig, als sie ihm in der üblichen, mütterlichen Fürsorge um den Hals fiel und ihn vollkommen ahnungslos an ihren riesigen, rüschenbesetzten Busen drückte. Die Ärmste hatte wohl nicht die geringste Vorstellung davon, was sie in Kürze erwartete. Dann war Lord William an der Reihe, der sich ihrem Übereifer mit einer formvollendeten Verbeugung entzog und ihr lediglich einen angedeuteten Handkuss zukommen ließ.
«Ist es nicht furchtbar, dass Lena auf so unerklärliche Weise verschwinden konnte?», fragte Elisabeth sichtlich in Sorge. «Wir haben noch immer nicht die geringste Ahnung, was in jener Nacht vorgefallen sein könnte.»
Mit entsprechend ratloser Miene bot sie den Männern an, auf den mit rosafarbenem Samt bezogenen Rokoko-Stühlen Platz zu nehmen.
Die Hausdame wurde durch einen Butler ersetzt, der die hohen Herren unaufgefordert mit Brandy, Kaffee und frisch gebackenen Mandelplätzchen versorgte. Wobei sich die Männer nur zögernd bedienten.
«Gibt es schon etwas Neues?», fragte Elisabeth mit aufgeregter Stimme.
Ihr Gesicht hatte wieder diese roten Flecken, was entweder auf ein romantisches Stelldichein mit Candy Jones oder ihren morgendlichen Gin schließen ließ.
«Es gibt offenbar eine ganze Bande, die hinter dieser Entführung steckt», leitete Bolton ohne Umschweife seine Erläuterungen ein und nippte mehr aus Höflichkeit an seinem Kaffee. «Sie nennen sich
Flamme von Jamaika
. Seit gestern liegt uns ein Ultimatum vor, das die Freilassung der drei zum Tode verurteilten Aufständischen im Gerichtsgefängnis von Spanish Town verlangt. Im Gegenzug will man Lady Helena in die Freiheit entlassen. Tun wir es nicht, ist sie tot.»
«Heiliger Jesus!»
Lady Elisabeth schlug die Hände vors Gesicht und kämpfte offenbar mit akuter Übelkeit, doch Dr. Lafayette war sogleich mit einem Riechfläschchen zur Stelle.
«Und weiß man schon, warum diese Scheusale ausgerechnet Lena entführt haben?»
«Um das herauszufinden, sind wir hier», verkündete Bolton mit kryptischer Miene.
Die Lady schien nicht sofort zu begreifen, was er ihr damit sagen wollte, also half er ein bisschen nach.
«Wir vermuten, dass einer Ihrer Sklaven in die Sache involviert ist», eröffnete er ihr mit einer gewissen Erbarmungslosigkeit, die ihm als Advokat der Marine durchaus gut zu Gesicht stand.
«Meine …? Jesus, wer sollte das sein?» Elisabeth erblasste, und sogar die roten Flecke waren mit einem Mal bleich.
«Candy Jones», ergänzte Edward mit einer aufgesetzten Miene des Bedauerns.
Für einen Moment glaubte er, dass die leicht vorstehenden Augäpfel seiner Tante rauszufallen drohten, so fassungslos starrte sie ihn an.
«Ausgeschlossen», erwiderte sie mit einer Stimme, die ihr eine sofortige Nüchternheit bescheinigte.
«Hm …»
Edward ahnte ihren aufkeimenden Widerstand und kniff die Lippen zusammen.
Candy Jones nach Spanish Town zu entführen, und mit Daumenschrauben aus ihm herauszupressen, dass er derjenige war, der die Täter auf Lenas Spur gebracht hatte, würde also doch nicht so einfach sein.
«Lady Fortesque», begann Bolton mit einiger Nachsicht in der Stimme. «Sie tun sich selbst keinen Gefallen, wenn Sie sich hinter einen Ihrer Sklaven stellen, ohne zu wissen, ob er es auch wirklich verdient hat.»
«Er hat es verdient! Da gibt es für mich nicht den geringsten Zweifel»,
Weitere Kostenlose Bücher