Flamme von Jamaika
Begegnung mit Brown und seinen Häschern nicht überlebt hatten. Hinterher hatte er sich bei Gericht jedes Mal eine fadenscheinige Ausrede einfallen lassen, warum es nötig gewesen war, die Flüchtlinge zur Strecke zu bringen. Bisher hatte man ihn und seine Leute nie zur Rechenschaft gezogen. Und auch dieses Mal würde es keinen Ankläger geben, falls sie Jess in seinem Versteck aufspüren und erschießen sollten.
Um einen flachen Atem bemüht, zog er sich vorsichtig zurück. Gott sei Dank lebte er schon lange genug in diesem Dschungel, um sich möglichst lautlos bewegen zu können.
«Haltet gefälligst die Augen auf», befahl Brown seinen Männern. «Und wenn sich etwas regt, wartet nicht, bis ihr seht, was es ist. Es muss tot sein, bevor es euch töten kann. Verstanden?»
«Jawohl, Sir!», hallte es wie aus einem Munde.
Jess hatte den Aufruhr genutzt und war bergab gerobbt, um den Abstand zu Brown und seinen Schergen zu vergrößern. Doch warum waren sie überhaupt hier? Schon seit Ewigkeiten hatte sich das Militär nicht mehr so weit in die Berge vorgewagt.
Lena! Was wäre, wenn sie auf Lena stießen? Ungeachtet der Gefahr, sprang er auf und lief eilig den Berg hinab, darauf bedacht, im Schutz der Bäume zu verbleiben.
Er musste so schnell wie möglich zurück zur Höhle, denn er wusste nicht, was geschehen würde, wenn sie Lena entdeckten. Am schlimmsten erschien ihm die Ungewissheit, ob sie den Auftritt des Colonels und seiner Männer nicht doch begrüßen würde. Oder ob es tatsächlich so war, dass sie auf der Seite der geflohenen Sklaven stand. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr glaubte er, dass es sich ebenso um eine geschickte Lüge handeln konnte. Er selbst wäre auch nicht so dumm gewesen, in aller Offenheit seinem Entführer zu widersprechen.
Was ist, wenn sie dich nur verführt hat, um dich auf ihre Seite zu ziehen?
Dieser an sich abwegige Gedanke, wo immer er auch herkam, hatte auf ihn die Wirkung eines tödlichen Giftpfeils, dessen Einfluss sich langsam und erbarmungslos in seinem Bewusstsein ausbreitete. Je mehr er sich dem Teich mitsamt der Höhle näherte, umso langsamer wurde er. Die Furcht, dass er recht behalten könnte, brachte ihn beinahe um. Lena wirbelte herum, als er plötzlich im Höhleneingang stand.
«O mein Gott!», rief sie viel zu laut und rannte außer sich vor Erleichterung auf ihn zu und warf sich ihm an den Hals. Er spürte, wie sie vor Aufregung in seinen Armen zitterte.
«Hast du die Männer gesehen?», keuchte sie atemlos. «Sie sahen aus wie weiße Pflanzer, aber ich bin mir nicht sicher, ob es nicht vielleicht doch Leute von der Miliz waren. Sie haben mich im Vorbeigehen nicht bemerkt, aber ich bin fast gestorben vor Angst bei dem Gedanken, dass du ihnen über den Weg laufen könntest!»
Jess atmete tief durch. Vor Erleichterung umarmte er sie so fest, dass sie kaum noch Luft bekam und sich nach Atem ringend beschwerte. Sie hatte ihn nicht verraten, im Gegenteil, sie wollte ihn schützen.
«Du bist ein unglaubliches Mädchen», flüsterte er in ihr Ohr. «Und ich dachte schon …»
Er hielt inne und sah ihr tief in die Augen.
«Was dachtest du?»
Sie schaute ihn misstrauisch an.
Während er nach Worten rang, verfinsterte sich ihr Blick.
«Du hast an mir und meiner Loyalität gezweifelt», klagte sie tonlos. «Du dachtest, ich würde dich an diese Menschenschänder verraten! Gib’s zu!»
Grenzenlose Enttäuschung spiegelte sich in ihren Augen, als er nicht sogleich eine Antwort fand. Jess spürte unvermittelt die Faust der Erkenntnis in seinem Magen. Ja – sie hatte recht. Er hatte ihr misstraut.
«Hör zu … ich.» Verdammt, wie sollte er diesen Karren je wieder aus dem Sumpf ziehen? «Wir sprechen später darüber», sagte er leise. «Jetzt müssen wir erst mal so unauffällig wie möglich von hier verschwinden und den Leuten im Lager Bescheid geben, damit sie alle Wachmannschaften warnen können. Der Kerl, der die Truppe angeführt hat, ist Colonel Brown, ein gefürchteter Sklavenschlächter.»
«Na dann los, worauf warten wir noch?», erklärte Lena mit erstaunlich abgeklärter Miene. «Wenn du mir Anweisungen gibst, wie ich mich beim Durchqueren des Dschungels möglichst unauffällig zu verhalten habe, kann nichts geschehen. Ich weiß, dass du mir ein hervorragender Lehrmeister sein wirst, was Tarnung betrifft.»
Das saß, aber Jess begriff, dass es müßig war, die Unstimmigkeiten zwischen ihnen gerade zu rücken, bevor sie den Weg ins
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