Flamme von Jamaika
geschehen würde, wenn sie ihrem Ehemann erneut gegenüberstand. Und nun war der Moment der Wahrheit gekommen, und sie hatte nicht die geringste Vorstellung, wie Edward
ihr
gegenüber reagieren würde. Was wäre, wenn er sich tränenreich für alles, was vorgefallen war, bei ihr entschuldigte und nach einem harmonischen Neuanfang verlangte? Was, wenn er außer sich vor Wut Anklage erhob, weil sie ihm und seinem Vater mit ihrem Verschwinden von Rosenhall so viele Unannehmlichkeiten eingebrockt hatte?
«Du kennst meine Meinung», sagte Jess und machte ein entschlossenes Gesicht. «Ich denke, du solltest die Insel verlassen, sobald sich eine Möglichkeit dazu ergibt. Du weißt, dass ich dir dabei helfe, wenn du willst.»
«Du scheinst es ja ziemlich eilig zu haben, mich loszuwerden», bemerkte sie spöttisch.
Doch dann sah sie, wie sein Blick weich wurde. Mit einem tiefen Seufzer zog er sie an sich und küsste ihren Scheitel.
«Ach Lena, wenn du nur ahnen könntest, wie viel ich dafür gäbe, dich ewig in meinen Armen zu halten. Wie unendlich viel es mir bedeuten würde, mit dir ein normales Leben führen zu können. Als Mann und Frau, mit dir Kinder zu haben, ein bescheidenes Auskommen. Aber wenn ich diese Vorstellung nur ausspreche, kommt sie mir bereits vollkommen absurd vor.»
Seine Stimmlage hatte einen fatalistischen Unterton angenommen. Bevor sie ihm widersprechen konnte, fuhr er fort:
«Du bist eine Weiße aus gutem Hause, dazu noch mit einem der einflussreichsten Männer in Jamaika verheiratet. Ich bin ein Sklave, ein Rebell, ein Geächteter. Ich kann keinen verdammten Schritt in diesem Land tun, ohne Gefahr zu laufen, verhaftet zu werden. Wenn herauskäme, dass wir gemeinsame Sache machen, würde das unweigerlich meinen Tod bedeuten, und deinen dazu. Einer solchen Gefahr kann und will ich dich nicht aussetzen. Verdammt, Lena, es würde mich auf der Stelle umbringen, wenn ich Schuld daran hätte, dass man dich hängt!»
«Erstens würdest du es nicht mitbekommen», erwiderte sie trocken, «weil du dann selbst längst baumeln würdest, und zweitens denke ich ebenso wenig wie du daran, mich erwischen zu lassen. Solange ich bei dir bin, kann mir nichts geschehen. Und was unser Dasein als Familie betrifft, die Menschen hier oben im Lager leben doch auch als Familien. Ich habe mehr als einmal das Lachen von Kindern gehört. Ich weiß von deiner Mutter, dass hier Männer und Frauen zusammenleben. Und was den Reichtum betrifft … was braucht man mehr als die Liebe, um glücklich zu sein?»
«Du kapierst es nicht», knurrte Jess verdrossen.
Mit zusammengekniffenen Lippen sah er sie an.
«Dann erklär’s mir», fauchte sie. «Ich bin alt genug, selbst zu entscheiden, welches Leben ich führen will. Und eins hab ich gelernt, seit ich mich in deiner Gesellschaft befinde: Ich will kein zuckersüßes Aristokratenpüppchen sein, das sich für nichts anderes als die neuste Mode und den neusten Klatsch interessiert. Seit ich weiß, was dort draußen wirklich geschieht», zischte sie und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger zum Höhlenausgang, «grüble ich Tag und Nacht darüber nach, dass es meine sorglose Oberflächlichkeit war, die mich in diese zutiefst grausame Welt verschlagen hat. Aber ich bin mir sicher, dass so etwas nie ohne Sinn geschieht. Es muss Gottes Wille sein, dass du mir begegnet bist und mir die Augen geöffnet hast. Du hast meine Sichtweise verändert und damit mein Leben. Selbst wenn ich nach Deutschland zurückginge, wäre ich nie wieder dieselbe, die ich mal war. Was macht es da noch für einen Unterschied, wenn ich weiterhin an deiner Seite leben möchte?»
«Der Unterschied besteht darin, dass du in Deutschland leben wirst», erklärte Jess. «Hier bist du so gut wie tot, wenn du bleibst.»
«Wie soll ich das in Gottes Namen verstehen?»
Sie schaute ihn ungläubig an.
«Cato will Krieg», erklärte er kalt. «Er will keine friedliche Revolution wie die Baptisten. Er zielt darauf ab, die Herrenhäuser der Pflanzer abzufackeln und die Inhaber zu töten. Wenn du zu mir zurückkehren würdest, wärst du die Erste, die auf seine Anweisung hin stirbt. Er hat dich nur am Leben gelassen, weil er dich für den Austausch benötigte.»
Es dauerte eine Weile, bis Lena die Botschaft begriff.
«Aber du willst das nicht, oder?»
Sie sah, wie Jess schluckte, als er zu einer Erklärung anhob.
«Bevor wir uns begegnet sind, wollte ich es auch. Wenn ich anders gedacht hätte, wäre ich nicht hier,
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