Flamme von Jamaika
wirklich für sie empfand.
Behutsam hielt er sie fest, während sie ihren Kopf an seine Brust legte und seinen stetigen Herzschlag spürte.
Lieber Gott, betete sie lautlos, mach das Unmögliche möglich und lass uns eine gemeinsame Zukunft haben.
Kapitel 23
Anfang Oktober 1831 // Jamaika // Traumland
L ena stieß einen erstickten Schrei aus, als irgendjemand sie mitten in der Nacht mit einem Kuss aus dem Schlaf holte. Im Traum war sie wieder zu Hause in Hamburg gewesen, umgeben von kostbaren Orientteppichen und Möbeln im Stil von Jacob Desmalter, für die ihr Vater noch zu Lebzeiten ihrer Mutter ein kleines Vermögen ausgegeben hatte. Bevor sie im Traum blinzelnd die Augen öffnete, hatte Heinrich, der in Ehren ergraute Leibdiener ihres Vaters, ihr einen Kakao serviert.
Als sie nun die düstere Umgebung gewahrte, in der sie sich tatsächlich befand, hätte der Unterschied zur Realität nicht größer sein können. Von einer brennenden Fackel beleuchtet, die in einer Wandhalterung steckte, erhob sich Jess aus der Hocke und stand unmittelbar vor ihr. Verwirrt starrte sie auf den riesigen, kraftvollen Kerl, der seinen nackten Oberkörper ebenso wie sein Gesicht offensichtlich vollkommen mit Holzkohle geschwärzt hatte, was seine bernsteinfarbenen Augen noch leuchtender erscheinen ließ. Sein langes Haar hatte er zu einem Zopf zurückgebunden, und sein Stoppelbart war abrasiert.
«Es tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe», sagte er leise. «Ich wollte dich nicht im Ungewissen zurücklassen. Meine Männer und ich machen uns auf den Weg, um die drei Gefangenen an einem verabredeten Ort abzuholen. Bis dahin wird meine Mutter dich mit allem versorgen, was du brauchst. Sie weiß, dass sie sich zusammenreißen muss und dir kein Härchen krümmen darf.»
Er lächelte gequält.
«Bleibt zu hoffen, dass sie deine Worte verinnerlicht hat», gab Lena mit säuerlicher Miene zurück. «Ich verspreche, dass ich sie nicht provozieren werde.»
«Es tut mir leid, dass ich dir all das zumuten muss, aber du sollst wissen, dass ich niemals vergessen werde, was du für mich … für uns … getan hast.»
Ein schwacher Trost, wie Lena befand. Wobei es für seine Mutter mit Sicherheit eine große Zumutung war, ihr gegenüber Freundlichkeit zu heucheln.
«Wann wirst du zurück sein?», fragte sie schüchtern, während sie ihre schier unkontrollierbare Furcht unterdrückte, dass die Soldaten des Gouverneurs Jess und seinen Leuten bei der Übergabe der Gefangenen etwas antun konnten.
«Spätestens morgen Vormittag. Bevor es dunkel wird, bringe ich dich in eine Kapelle unten am Wag-Water-Fluss. Dort soll der Austausch stattfinden. Also halte dich bereit.»
Ohne ein Wort des Abschieds machte er kehrt und ging davon, dabei ließ er die Gefängnistür offen stehen. Ein wortloser Beweis, wie sehr er ihr in Wahrheit vertraute.
Baba hatte sich unwissend gestellt, als Jess in ihre Hütte gekommen war, um sich von ihr zu verabschieden. Ganz schwarz bemalt, sah er in der dunklen Kleidung aus wie sein afrikanischer Großvater, als er in die Neue Welt verschleppt worden war.
«Heute Nacht beginnt der Gefangenenaustausch», erklärte er ihr in unaufgeregtem Ton. «Zuerst übernehmen wir die zum Tode verurteilten Sklaven von den weißen Soldaten und bringen sie in Sicherheit. Danach habe ich den Auftrag, unsere Geisel beim Wag Water in die Freiheit zu entlassen. Cato hat mich gebeten, dir solange ihre Versorgung zu übertragen, bis wir mit den Männern ins Lager zurückgekehrt sind.»
«Mach dir keine Sorgen», entgegnete sie knapp. «Ich erledige das schon. Hauptsache, du lässt dich nicht von diesen weißen Schweinehunden erwischen.»
«Hab ich nicht vor», brummte er und schaute ihr von oben herab in die Augen. «Und komm nicht auf die Idee, sie zu schikanieren», fügte er mit drohender Stimme hinzu.
«Ich dachte, du würdest mir vertrauen», erwiderte sie scheinheilig und versuchte sich an einem Lächeln, das jedoch nicht überzeugend ausfiel. «Das Täubchen wird es gut bei mir haben», beteuerte sie. «Obgleich ich natürlich froh bin, wenn sie endlich wieder unter ihresgleichen weilt.»
«Unser aller Schicksal hängt davon ab, dass Lena heil und munter zu ihrem Ehemann zurückkehrt», warnte er sie noch einmal unmissverständlich.
«Ja, verstanden», schnappte sie und stemmte die Fäuste in die Hüften. «Und nun sieh zu, dass du deine Mission zu einem glücklichen Ende bringst, damit sich die ganze Aufregung auch
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