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Flamme von Jamaika

Flamme von Jamaika

Titel: Flamme von Jamaika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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mit halb vollem Mund.
    Sie musste sich eingestehen, dass sie in der Zeit ihrer Gefangenschaft offenbar nicht nur ihre Moral über Bord geworfen hatte, sondern auch gleich ihre guten Manieren. Baba schien das jedoch nicht zu stören.
    «Nein», sagte sie, und plötzlich zeigten sich Sorgenfalten auf ihrer breiten Stirn. «Aber Jess ist ein Krieger, und er ist mein Sohn. Er wird sich von niemandem unterkriegen lassen», betete sie ihre Überzeugungen wie eine Litanei herunter.
    Lena wollte es zu gerne glauben und stellte die fast leere Schüssel weg, weil ihr mit einem Mal übel war. Ob vor Angst um Jess oder weil sie das Essen viel zu rasch hinuntergeschlungen hatte, vermochte sie nicht zu sagen.
    «Den Weißen kann man nicht trauen», bemerkte Baba überflüssigerweise. «Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Aber alles wird so kommen, wie die Ahnen es wollen», verkündete sie in der ihr eigenen kryptischen Verschlossenheit.
    Dann betrat sie erneut die Zelle und nahm den fast leeren Napf an sich, wobei sie Lena nicht aus den Augen ließ. Wahrscheinlich befürchtete sie, noch einmal ein Brett über den Schädel gezogen zu bekommen. Bevor sie ging, verschloss sie die Türe von außen mit dem Schlüssel und nahm ihn an sich.
    «Vergiss nicht, dir deine Augenbinde aufzuziehen», mahnte sie Lena, als sie schon halb auf dem Weg nach draußen war. «Falls außer Jess und mir plötzlich jemand anderes hier auftaucht.»
    «Jemand anderes?», fragte Lena verwirrt.
    «Einen angenehmen Tag wünsche ich», fügte Baba kommentarlos hinzu, aber es klang nicht besonders freundlich.
    Wahrscheinlich hatte sie irgendwelche düsteren Ahnungen, die sie nicht aussprechen wollte. Lena lehnte sich schwer atmend an die kalte Höhlenwand, ihre Augenbinde in der Hand, und dachte nach. Bis zu ihrer eigenen Übergabe an Edward blieben nur noch ein paar Stunden. Wenn Jess bis zum Vormittag nicht zurückkehrte, würden sie den festgelegten Zeitpunkt ihrer Übergabe kurz vor Sonnenuntergang nicht einhalten können. Sie wusste nicht genau, was das bedeutete, aber ihr blieb ein mulmiges Gefühl.
    Du musst verrückt sein, schalt sie sich in einem plötzlichen Anflug von Verzweiflung. Die ganze Nacht über hatte sie die Gelegenheit gehabt davonzulaufen. Nun saß sie wieder in der Falle. Wenn Jess nicht lebend zurückkam, hatte sie jede Chance auf Rettung verloren.

Kapitel 24
    Anfang Oktober 1831 // Jamaika // Falsches Spiel

    J ess trieb sein Muli an, um so schnell wie möglich ins Lager zurückzukommen. Er konnte sich gut vorstellen, dass Lena bereits ungeduldig auf ihn wartete. Ergriffen von einer diffusen Angst um ihre Sicherheit, beschleunigte sich sein Puls, als er zusammen mit Nathan endlich die ersten Hütten erreichte.
    Im Dorf war unterdessen der Teufel los. Obwohl sich das gesamte Lager noch im Alarmzustand befand, hatten sich Erwachsene und Kinder längst in der Mitte des Versammlungsplatzes eingefunden, um die erschöpften Ankömmlinge mit Freudentänzen zu begrüßen. Desdemona war herbeigeführt worden, um die Verletzungen der ehemaligen Todeskandidaten zu untersuchen.
    Selina und ein paar andere Frauen reichten ihnen Suppe und Brot, was sie mit ausgehungertem Blick dankend entgegennahmen. Die Soldaten der Garnison hatten sie unter anderem mit glühenden Eisen gefoltert. Von Nahrungs- und Wasserentzug, dem sie allesamt über Wochen ausgesetzt worden waren, gar nicht zu sprechen. Doch sie hatten nicht preisgegeben, wo sich ihre Helfer befanden und wer sich dahinter verbarg. Kein Wunder, dass sie sich nun fühlten wie im Paradies.
    Jess hielt sich nicht lange damit auf, seinen Erfolg zu genießen. Er übergab sein Muli einem der halbwüchsigen Jungs, der sich sogleich um das Tier kümmerte, und marschierte direkt auf die Gefängnishöhle zu. Zwar hätte er sich gerne noch das Blut und den Dreck abgewaschen und auch den Verband mit einem sauberen Stück Stoff erneuert, aber ein inneres Drängen hielt ihn davon ab. Als er das hintere Ende der Höhle erreichte, traf es ihn wie ein Schlag. Die Zelle war leer, die Türe stand offen. Wobei er nicht annahm, dass Lena einfach davongelaufen war, obwohl er das Gitter beim Weggehen offen gelassen hatte.
    Von bösen Ahnungen heimgesucht, rannte er im Laufschritt nach draußen. Auf Höhe des Freiplatzes stolperte er beinahe über Selina, die ihm mit einem leergeputzten, gusseisernen Kessel entgegenkam. Sie sah sofort seine Verletzung am Arm und ließ den Kessel zu Boden fallen.
    «Bei den Geistern der

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