Flamme von Jamaika
Kürze auch hier geschehen wird. Wir können damit ihren Protest anheizen. Je mehr Aufsehen die Sache erregt, umso mehr Gegner der Sklaverei können wir auf unsere Seite ziehen.»
Damit schien für Jess das Thema erledigt zu sein. Lena seufzte leise und band zum Schein für die übrigen Lagerbewohner, die ihnen auf dem Weg zum Rande des Waldes begegnen konnten, ihren Schal um die Augen. Jess dirigierte sie am Ellbogen gefasst wortlos zum Ausgang der Höhle. Dann fasste er sie bei der Hand und zog sie sanft hinter sich her. Überdeutlich spürte sie den Druck seiner Finger und die Schwielen darin, die vom häufigen Gebrauch einer Machete zeugten.
Wieder erfasste sie ein Schwindel, von dem sie nicht wusste, wie sie ihn einordnen sollte. Lena war froh, als Jess am Rande des Lagers von einem Jungen, der die Tiere betreute, ein gesatteltes Maultier entgegennahm und sie auf dessen Rücken hob. Wenig später erlaubte er ihr, die Augenbinde abzunehmen. Zunächst sah sie nur Schatten, doch dann erhellte sich das Bild des Dschungels im Angesicht einer untergehenden Sonne. Das Maultier ging absolut ruhig neben Jess, der es locker am Zügel hielt. Nur ab und zu wackelte es mit seinen plüschigen Ohren. Lena hätte gerne etwas gesagt, doch in ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Jess war nicht weniger schweigsam. Wahrscheinlich war er zu erschöpft, um etwas zu sagen. Soweit sie es beurteilen konnte, war er seit gestern Nacht durchgehend auf den Beinen.
«Bist du böse auf mich?», fragte sie zaghaft.
Jess blickte überrascht zu ihr hoch.
«Wie kommst du nur auf einen solch törichten Gedanken?»
Zum Beweis, dass er es gut mit ihr meinte, legte er eine Hand auf ihren Oberschenkel und streichelte sie sachte.
«Sollten wir nicht noch mal unser geplantes Treffen am White River durchgehen, bevor du mich Edward und den Soldaten des Gouverneurs überlässt?», fragte sie mit belegter Stimme.
Plötzlich hatte sie Angst, er könne sein Wort nicht halten und würde nicht wie verabredet erscheinen.
«Was machen wir, wenn der Gouverneur darauf besteht, dass ich mit den Soldaten nach Spanish Town reite, um dort eine Aussage zu machen, oder Edward darauf besteht, dass ich zunächst einmal im Haus bleibe?»
«Ich werde versuchen, in deine Nähe zu kommen. Ich habe ohnehin nicht vor, sogleich zum Lager zurückzukehren. Cato hat mich beauftragt, Kontakt zu diversen Baptisten aufzunehmen. Dadurch habe ich jede Menge Rückzugsmöglichkeiten bei verschiedenen frommen Kirchgängern, die uns in den Parishes unterstützen. Ich werde dich finden, ganz gleich, wo du landest. Sagen wir einfach, spätestens nachdem du nach Redfield Hall zurückgekehrt bist, werde ich an der Flussbiegung unterhalb der alten Fischerhütte auf dich warten. Sobald es dir möglich ist, musst du nur von den Sklavenunterkünften auf Redfield Hall immer am Fluss entlang nach Süden laufen, dann können wir uns gar nicht verfehlen. Komm am besten kurz nach Sonnenuntergang dorthin, und ich werde dich ohne Probleme nach Port Antonio bringen. Spätestens vor Anbruch des Morgens sitzt du auf einem Schiff nach Europa.»
«Und was ist, wenn es kein Schiff gibt, das von dort aus in die Alte Welt aufbricht? Oder wenn ein Sturm aufkommt, der all unsere Pläne zunichtemacht?»
Lena verspürte immer noch die wilde Hoffnung, dass etwas dazwischenkommen könnte und sie bei ihm bleiben durfte. Jess klopfte ihr Bein, als wäre sie ein treues, braves Pferd. Dass er ihr dabei nicht in die Augen sah, beunruhigte sie.
«Gott wird mit uns sein», murmelte er. «Wenn Er will, dass du zu deinem Vater zurückkehrst, wird Er alles zum Besten richten.»
«Ich will aber nicht zu meinem Vater zurückkehren», gestand sie mit gedämpfter Stimme. «Du weißt, dass ich bei dir bleiben möchte.»
«Spätestens nach Catos Vorstellung müsste dir nun klar sein, dass das nicht geht», erwiderte er ebenso leise.
Lena wurde von neuem Schwindel ergriffen. Höchstwahrscheinlich rührte dieses Gefühl von ihrer Angst her, Jess zu verlieren.
«Ich kann ohne dich nicht leben», beschwor sie ihn von neuem. «Nicht in Hamburg und auch sonst nirgendwo. Wenn du mich im Stich lässt, werde ich sterben – ich weiß es einfach.» Die Inbrunst, mit der sie es sagte, ließ ihn hellhörig werden.
Er stoppte das Maultier kurz vor einer Lichtung, die aufgrund der letzten Sonnenstrahlen, die sich einen Weg durch das Dickicht bahnten, gut zu überblicken war. Mit schmalen Lidern schaute er zu ihr auf.
«Sag
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