Flamme von Jamaika
Lena erschauderte innerlich. Wie lange würde es wohl dauern, bis er dieses unverschämte Auftreten auch ohne Weingeist zuwege brachte? Bis er seine Drohungen, sie mehrmals täglich zu nehmen, wahr machte?
Wenn es ihr nicht gelang herauszufinden, was mit ihr geschehen war und wie sie wieder gesunden konnte, war sie im Nu zur willigen Hure verdammt, die Edward bis an sein Lebensende in schändlicher Gier benutzen konnte. Darüber hinaus war sie, falls die Natur keine anderen Pläne mit ihr hatte, dazu verurteilt, ihm zahllose Kinder zu gebären, die von Ammen großzogen wurden. Eiskaltes Grauen überflutete sie.
Was für eine bittere Ironie des Schicksals! Sie hatte vor Edward fliehen wollen, weil er ihr nicht genug Aufmerksamkeit schenkte, und nun würde er sie nicht nur belügen und betrügen, sondern auch zur Zuchtstute herabwürdigen. Und das alles, ohne dass sie den leisesten Funken Hoffnung hatte, seinen perfiden Machenschaften zu entkommen.
«Du kannst rauskommen», sagte eine verhältnismäßig hohe, flatternde Männerstimme.
Sie gehörte Isaak Bernhard. Er war ein noch junger Baptistenprediger, der sich trotz seiner Jugend bereits zur Riege der Vertrauten des geistigen Führers William Knibb zählen durfte. Knibb war der schärfste Gegner der Sklaverei, den man auf der Insel unter den Weißen finden konnte. Bereits mehrfach war sein Leben von ebenfalls weißen Sklaventreibern bedroht worden. Wer es genau gewesen war, der ein paar Mal versucht hatte sein Haus anzuzünden, wusste man nicht. Klar war nur, dass Knibbs Widersacher vorwiegend in Rudeln auftraten. Die Männer kamen meist nachts, und sie kamen maskiert, um seine Existenz zu bedrohen und ihm Hassparolen an die Wände zu schmieren. Manchmal schoben sie auch Briefe unter die Türe, die seinen nahenden Tod ankündigten, wenn er seinen Kampf für die Rechte der Sklaven nicht tunlichst beendete.
Wie die meisten weißen Unterstützer von Knibb war Isaak Bernhard schmächtig und bleich und schien beim ersten Anblick nicht gerade von herausragendem Mut gezeichnet, wenn es um den Umgang mit bewaffneten Widersachern ging. Aus diesem Grund hatten ihm die berittenen Soldaten eine höllische Angst eingejagt. Denn im Gegensatz zu Cato und den Angehörigen der
Flamme von Jamaika
verabscheuten weiße wie schwarze Baptisten den bewaffneten Widerstand und vertraten die Meinung, dass allein das Wort Gottes als flammendes Schwert geeignet sei, um die Feinde hinwegzufegen.
Wobei es für Leute wie Isaak mit Sicherheit nicht in Frage kam, jemanden zu töten, obwohl sie den Passus in der Bibel – Auge um Auge, Zahn um Zahn – genauso selbstverständlich wie alle anderen Passagen beherrschte.
Dass Isaak im Moment höchster Not Jess zu Hilfe geeilt war und es ihm gelang, ihn in letzter Minute in einem geheimen Kellerloch unter seinem baufälligen Farmhaus zu verstecken, grenzte beinah an biblische Fügung. Vielleicht hatte es aber auch nur an der konservativen Pastorenkleidung gelegen, die Jess zur Tarnung trug.
Als die Soldaten in seine Richtung gestürmt waren, hatte Jess es nicht mehr geschafft, sich in die schützende Hügellandschaft hinter dem Fluss zurückzuziehen. Also hatte er schnell sein Muli in die Wälder getrieben, in der Hoffnung, dass das Tier allein seinen Weg nach Hause fand oder er ihn sich später aus den Wäldern zurückholen konnte. Dann war er geduckt im Zickzack durchs hohe Gras gelaufen und hatte sich robbend bis zum Haus des Pastors durchgeschlagen. Die Soldaten hatten ihn unterdessen gesucht, doch es war ihnen nicht gelungen, seine Spur aufzunehmen. Entmutigt waren sie zum Dorf zurückgekehrt, um die Bewohner nach einem verdächtigen Flüchtling zu befragen. In letzter Sekunde war der junge Pastor aufgetaucht und hatte Jess Zuflucht in seinem Keller gewährt.
«Moses Campbell», stellte Jess sich unter falschem Namen vor, als Isaak nach einer Weile die klapprige Kellertüre anhob, um reine Luft zu signalisieren.
Jess wies sich bei seinem Retter mit einem gut gefälschten Freibrief aus, der auf besagten Namen ausgestellt war und ihm eine lückenlose Legende sicherte, was seine Herkunft betraf.
«Was wollten die Soldaten von dir, Moses?», fragte Isaak, dem noch immer der Angstschweiß im lichtblonden Haaransatz glitzerte.
Nachdem er die Türe zum Kellerverschlag wieder geschlossen und einen alten Teppich darübergelegt hatte, wagte Isaak einen furchtsamen Blick nach draußen in den Hof, um sich zu vergewissern, dass die Männer
Weitere Kostenlose Bücher