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Flamme von Jamaika

Flamme von Jamaika

Titel: Flamme von Jamaika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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offensichtlich nicht entgangen war, nickte zustimmend.
    «Ich helfe dir gern, Bruder. Wenn du willst, kannst du oben auf dem Dachboden schlafen, dort liegen noch eine Strohmatratze und eine Decke. Du könntest als Gegenleistung heute Abend in der Scheune die Messe lesen. Es haben sich einige schwarze Brüder und Schwestern aus der benachbarten Plantage angesagt, die mit Erlaubnis ihres Masters am Gottesdienst teilnehmen dürfen. Ihnen wollen wir Mut machen, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis Gott ihnen die lang verdiente Freiheit gewährt.»
    Jess nickte verhalten. Sein Wissen um die Gestaltung einer Baptistenmesse war ein wenig eingerostet, aber es musste reichen, um einigermaßen glaubwürdig zu wirken. Schließlich waren es die Baptisten, die sich von allen Glaubensgemeinschaften der Insel am meisten gegen die Sklaverei einsetzten. Cato hatte ihn nicht umsonst zu einer Art geheimem Mittelsmann bestimmt und darauf bestanden, dass er seine Rolle als Prediger perfekt beherrschte.
    Jess selbst hatte kein besonderes Verhältnis zu den frommen Brüdern und Schwestern der Baptistengemeinden. Sie erschienen ihm im Verhältnis zu den Katholiken, denen er sich zugehörig fühlte, zu kompromisslos, was die Auslegung der Bibel betraf. Natürlich durften Isaak und die übrigen Baptisten nicht erfahren, dass Jess zu den Rebellen gehörte und seine Leute in ihrem innersten Kreis eine Obeah-Zauberin beherbergten.

    Gleich am nächsten Morgen machte sich Jess auf den Weg zum White Water, jenem Fluss, der das Land der Blakes durchquerte. Unterhalb der Mangrovenbüsche hatte er sich mit Lena an einer alten Fischerhütte verabredet. Während des Ritts dachte er an die Predigt, die er am Abend zuvor eine Meile entfernt in einer kleinen, heruntergekommenen Holzkirche gehalten hatte.
    Wenn man Lenas Einstellung vertrat, dass sie die Leute belogen, wenn sie vom baldigen Ende der Sklaverei sprachen, war die Messe in der Scheune nichts anderes als eine euphorische Lügenveranstaltung zur Aufstachelung der Massen gewesen. Im Namen der höchsten baptistischen Würdenträger hatten Isaak und Jess die nahende Freiheit gepredigt, indem sie den Gläubigen versichert hatten, dass das Papier zu ihrer Freilassung aus dem fernen London längst unterschrieben und zu ihnen unterwegs sei.
    Isaak hatte wiederholt zu ruhigem Widerstand aufgerufen und die anwesenden Sklaven dazu ermutigt, nur die notwendige Arbeitsleistung zu erbringen und darüber hinaus nichts zu tun, um den weißen Herren zu gefallen. Es war ein Aufruf zu passivem Protest, nicht mehr und nicht weniger, und doch war er in den Augen der weißen Plantagenbesitzer brandgefährlich.
    Danach hatten die Sklaven tanzend und singend Gott dem Allmächtigen für seine Gnade gehuldigt, und Jess hatte sich an frühere Zeiten erinnert gefühlt, in denen er als Kind den Kirchenliedern am Sonntag gelauscht hatte. Früh am Morgen war Isaak so großzügig gewesen, ihm eins seiner Kutschpferde zu borgen und es für Jess zu satteln.
    «Ich bringe es zurück», hatte Jess mit aufrichtiger Miene versprochen, «sobald ich meinen Auftrag erledigt habe.»
    Dass dieser Auftrag darin bestand, ebenjener Pflanzergattin, von der Isaak gesprochen hatte, zur Flucht vor ihrem niederträchtigen Ehemann zu verhelfen, verriet er freilich nicht. Er verkündete vollmundig, dass er nach Falmouth müsse, um sich im Auftrag seines Obersten mit Sharpe und Knibb zu treffen, womit er Isaak sichtlich beeindruckte.
    Die ganze Nacht hatte Jess kein Auge zugetan und ununterbrochen an Lenas Verzweiflung gedacht, mit der sie sich beim letzten Mal in seine Arme geworfen hatte. Jess war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er seine harte Linie, sie in jedem Fall nach Europa zurückschicken zu wollen, aufrechterhalten konnte. Obwohl er nicht wusste, wie ein längerer Aufenthalt von ihr auf Jamaika zu bewerkstelligen war, machte ihn die Vorstellung, sie zu verlieren, ganz krank. Unentwegt grübelte er darüber nach, ob es nicht doch irgendwo ein winziges Schlupfloch für ihre Liebe gab, an das er bisher nicht gedacht hatte.
    Als er sich im strömenden Regen mit seiner braunen Stute vorsichtig der verfallenen Fischerhütte näherte, beschlich ihn eine seltsame Ahnung, dass ihr irgendetwas dazwischengekommen sein konnte und sie deshalb nicht dort war. Ganze zwei Tage und zwei Nächte wartete er auf sie. Währenddessen ernährte er sich von rohen Vogeleiern und Fisch. Mit jeder Stunde, die verging, nahm sein Appetit gründlich ab.

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