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Flamme von Jamaika

Flamme von Jamaika

Titel: Flamme von Jamaika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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erstarrte.
    «Lena», sagte er noch einmal mit erstickter Stimme. «Ich bin’s, Jess.»
    Sie machte keinen Laut, doch ihre smaragdgrünen Augen leuchteten unverkennbar vor Freude. Ihre Lippen bebten, und es sah aus, als ob sie ihm etwas sagen wollte. Doch kein Laut kam aus ihrem Mund, stattdessen rannen Tränen über ihr Gesicht. Als Jess erkannte, dass Tom recht gehabt hatte und sie offenbar nicht mehr Herrin ihrer selbst war, traf es ihn wie ein Schock.
    «O mein Gott!»
    Er riss sie regelrecht an sich. Er spürte ihre nasse Wange an seiner und ihren heißen Atem an seinem Ohr, während sie ihn unbeholfen zu umarmen versuchte. Er war nicht fähig zu sprechen. Ein Kloß, so dick wie eine Brotfrucht, versperrte seine Kehle. Tränen liefen ihm übers Gesicht und vermischten sich mit den ihren. Sie war offensichtlich schwer krank. So sehr, dass sie nichts hatte unternehmen können, um ihre Abmachung zu erfüllen, geschweige denn, Edward, diesem Monster, zu entfliehen. Beinah drei lange Monate hatte sie dieses Martyrium aushalten müssen. Verdammt!
    «Es tut mir leid», flüsterte er unaufhörlich. «Es tut mir so leid. Ich dachte, du wärst … Himmelherrgott, was bin ich für ein Narr! Aber jetzt wird alles gut, das verspreche ich dir!»
    Sie versuchte etwas zu sagen, doch Jess konnte es nicht verstehen. Er ging auf Abstand, um zu erkennen, was sie meinen konnte. Von dort aus sah er, dass sie auf die Tür deutete. Vom Flur her hörte er Schritte. Rasch legte er sie zurück in die Kissen. Dann sprang er auf und versteckte sich hinter einem monströsen Wandschrank.
    Eine Sklavin betrat das Zimmer. Sie trug ein Windlicht in der Hand und war in das schwarz-weiße Gewand einer Hausdienerin gekleidet. Hinter sich schloss sie sorgsam die Türe. Dann beugte sie sich über Lena, offenbar um zu schauen, ob sie ruhig schlief. Als sie sah, dass sie erwacht war, gab sie ihr ein Glas frisches Wasser. Danach bot sie ihr an, ihr auf den Leibstuhl zu helfen, falls sie die Notdurft quälte. Doch Lena verneinte.
    Überhaupt ging die Frau sehr behutsam mit ihr um. Sie schien uralt, ihre Haut war kohlschwarz, und ihr krauses Haar hatte die silbergraue Farbe von Asche angenommen. Jess glaubte mit einem Mal, sie schon als Kind gesehen zu haben. Eine Weile beobachtete er, wie sie Lena sorgsam zudeckte. Als sie sich anschickte, neben ihr in einem Lehnstuhl Platz zu nehmen, gab er sein Versteck auf und trat leise hinter sie. Lena sah ihm dabei direkt in die Augen. In ihrem Blick flackerte Angst, dass er der Alten etwas antun könnte. Doch er hielt ihr lediglich den Mund zu, bevor er sie so fest packte, dass sie sich keinen Zoll mehr rühren konnte.
    «Schön ruhig, Mütterchen», raunte er der völlig erstarrten Frau ins Ohr. «Ich will mich nur ein wenig mit dir unterhalten. Wenn du hübsch brav bleibst und nicht schreist, wird dir nichts geschehen. Falls du auf mein Angebot nicht eingehst, wird mir nichts anderes übrig bleiben, als dir den Hals umzudrehen.»
    Jess spürte, wie die alte Haussklavin vor Angst zitterte. Deshalb setzte er sich mit ihr auf die Matratze und hielt sie noch einen Moment vollkommen ruhig, bevor er seine Finger von ihren Lippen löste.
    «Wer in Dreiteufelsnamen bist du?», zischte sie heiser. «Und was hast du hier zu suchen?»
    «Was ist mit deiner Herrin geschehen?», fragte er geradeheraus.
    «Das sieht man doch», erwiderte die Dienerin barsch. «Sie wurde verhext.»
    «Wer soll sie denn verhext haben?», fragte Jess, der das abergläubische Gefasel der Sklavin nicht wirklich glauben konnte. «Hat man ihr irgendwelche Drogen verabreicht? Vielleicht im Auftrag ihres Ehemannes oder des Doktors? Wenn du jeden Tag mit ihr zusammen bist, musst du es doch wissen!»
    «Kein Weißer ist eines solchen Zaubers mächtig», orakelte die Alte. «So etwas vermag nur ein Obeah-Zauber zu vollbringen. Meine Herrin ist eine lebende Tote.»
    Jess packte die Frau härter am Arm und riss sie herum, sodass sie ihm direkt in die Augen schauen musste.
    «Was hat das zu bedeuten?», fragte er rau.
    Für einen Moment starrte die Frau ihm direkt ins Gesicht, und ihre Mimik wurde unvermittelt weicher.
    «Ich kenne dich», sagte sie leise. «Und vor allem kenne ich deine Mutter. Ich war dabei, als sie dich zur Welt gebracht hat. Auch wenn du nun den Anzug eines weißen Priesters trägst, kannst du mich nicht darüber hinwegtäuschen, dass du zu den Rebellen gehörst, Jesús.»
    Jess schluckte überrascht.
    «Und wenn schon», erwiderte er.

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