Flamme von Jamaika
Gurgelnd versuchte sie, sich zu befreien, indem sie mit letzter Kraft an seinen Handgelenken zerrte. Doch es gelang ihr nicht. Edward drückte immer fester zu. Lena verlor das Gleichgewicht und ging unfreiwillig in die Knie. Am Boden liegend, war sie erst recht nicht mehr fähig, Widerstand zu leisten. Schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen, die immer dichter wurden und alles um sie herum mit einem nachtschwarzen Schleier belegten.
Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubender Knall, und der Druck auf ihren Hals ließ schlagartig nach. Mit dem ersten Atemzug, der ihre Kehle schmerzhaft durchströmte, drang der Gestank von Pulver und Schwefel in ihre Lungen. Röchelnd verharrte sie auf Knien und Ellbogen abgestützt, um wieder zu sich zu kommen. Unvermittelt spürte sie eine warme Hand auf ihrem Rücken. Wie aus der Ferne vernahm sie die Stimme von Estrelle, die sich atemlos nach ihrem Wohlergehen erkundigte.
Als Lena nach einigen Minuten wieder klarer sehen konnte, hockte die grauhaarige Dienerin neben ihr. Jeremia stand in der offenen Tür, eine Jagdflinte in der Hand. Anscheinend besaß er einen Zweitschlüssel für sämtliche Räume. Auf dem Teppich lag ausgestreckt Edward, den Kopf von einem seitlichen Durchschuss gezeichnet. Darunter bildete sich eine Blutlache, die den Teppich durchtränkte.
«Wenn Sie wollen, Mylady», erklärte Jeremia mit ausdrucksloser Stimme, «können Sie mich nun in Ketten legen lassen.»
Lena sammelte sich für einen Moment, um zu begreifen, was soeben geschehen war. Dann stemmte sie sich mit Estrelles Hilfe taumelnd auf die Füße.
«Reden Sie keinen Unsinn, Jeremia», erklärte sie mit überraschend gefasster Stimme. «Geben Sie mir die Flinte», befahl sie dem Butler.
Er zögerte einen Moment.
«Was haben Sie vor, Mylady?»
Doch Lena hielt sich nicht mit Erklärungen auf und nahm ihm die Waffe ab. Jeden Moment konnte jemand von draußen hereinkommen, der den Schuss und ihren Schrei gehört hatte. Ohne zu zögern, legte sie Edward das Gewehr in die Hand.
«Sie haben ziemlich rote Stellen am Hals, Mylady», warnte Estrelle und reichte ihr einen schwarzen Seidenschal aus einer Kommode. «Es könnte zu unangenehmen Fragen kommen.»
«Danke», sagte Lena und schaute in den Spiegel über der Kommode, um Edwards Spuren, so gut es ging, zu kaschieren.
Kaum dass das geschehen war, tauchte Pastor Langley im Flur auf. Er wurde von einem Soldaten begleitet.
«Was ist hier geschehen?», fragte er und erstarrte, als er Edwards Leiche auf dem mittlerweile blutdurchtränkten Teppich liegen sah.
Lena begann auf Kommando zu schluchzen und warf sich dem Geistlichen in einer theatralischen Geste an den Hals.
«Sir Edward …», jammerte sie überzeugend. «Er … war gerade dabei, seine Waffe zu säubern, als sich plötzlich ein Schuss löste und ihn am Kopf traf. Ich habe nicht sehen können, wie es geschah … ich stand am Fenster und habe hinausgeschaut.» Wieder begann sie, herzzerreißend zu schluchzen. «Erst mein Schwiegervater und nun Edward, ich ertrage es nicht!»
Verunsichert tätschelte ihr der Pastor den Rücken. Gleichzeitig gab er dem Soldaten den Befehl, ein paar seiner Kameraden herbeizuholen.
«Ensign Martin und seine Männer sind soeben aus Fort Littleton eingetroffen, um Lord William die letzte Ehre zu erweisen. Sie sollten Sir Edward bei der Vorbereitung für eine rasche Beerdigung helfen. Nun müssen wir zwei Gräber ausheben …»
Wieder brach Lena in Tränen aus und hielt sich beide Hände vors Gesicht, um ihre mühsam aufgesetzte Trauer zu unterstreichen. Langley führte sie zum Bett und empfahl ihr fürsorglich, sich einen Moment auszuruhen, bis man Edwards sterbliche Überreste hinunter in die Kapelle getragen hatte. Estrelle versprach, bei ihr zu bleiben und mit ihr zu beten. Danach wies der Pastor die hinzugeeilten Soldaten an, Edwards Leichnam zu entfernen.
«Das ist kein Anblick für eine Lady», erklärte er mit einem mitleidigen Blick auf die junge Witwe.
Lena brachte kein Wort heraus. Estrelle, die Jeremia vorsorglich in die Küche geschickt hatte, damit er sich die Schmauchspuren von den Händen wusch, stand schweigend neben ihr. Gemeinsam beobachteten sie, wie die Rotröcke den leblosen Körper auf eine Bahre hoben. Nachdem die Männer, gefolgt von Pastor Langley, mit dem toten Edward endlich das Zimmer verlassen hatten, atmete Estrelle hörbar auf.
«Was werden Sie nun tun, Mylady?», fragte sie und schaute Lena mit hochgezogenen Brauen an.
Lena
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