Flamme von Jamaika
cremefarbene Hochzeitskleid, das ihre Schneiderin in London nach dem letzten Pariser Schick angefertigt hatte. Estrelle und Maggie hatten ihr das hellblonde Haar zu einem dicken Knoten auf dem Kopf aufgetürmt. Darüber fiel in langen Bahnen der eierschalfarbene Schleier, ein Erbstück von Edwards Mutter. Lena hoffte, dass die Haarnadeln, die den Stoff hielten, dem Wind trotzen würden, der bereits die ersten Hüte von den Köpfen der Damen blies.
«Komm, wir müssen gehen», erinnerte sie Maggie und legte letzte Hand an, um die hauchdünne Brüsseler Spitze vor ihrem Gesicht zu drapieren. «Dein zukünftiger Ehemann wartet bereits ungeduldig am Altar auf dich.»
Edward hatte sie an diesem Tag noch nicht zu Gesicht bekommen. In seiner Familie hatte man die Tradition auf den Kopf gestellt. Angeblich brachte es Unglück, wenn die Braut den Bräutigam vor der Kirche erblickte.
«Da ist ja die wichtigste Person des Tages!», rief eine ihr bekannte weibliche Stimme, als Lena sich zusammen mit Maggie auf den Weg zur Kapelle machte.
«Und da rauscht die zweite Brautjungfer heran», vermeldete Maggie mit beißender Ironie.
Lady Elisabeth Fortesque kam aufgeregt hinter ihnen her gewatschelt, wobei ihre pompöse Aufmachung an ein üppiges, frisch dekoriertes Sahnetörtchen erinnerte.
Als erste Brautjungfer war Maggie zwangsläufig in das gleiche rosafarbene Seidenkleid gehüllt worden wie ihre Mitstreiterin, die sich diese Farbe und die vielen Rüschen und Schleifen ausdrücklich gewünscht hatte.
Zu Maggies Bestürzung hatte die Schneiderin, die von Lady Elisabeth mit dem Nähen der Brautjungfernkleider beauftragt worden war, Ballonärmel und Überrock zusätzlich mit Hunderten von Seidenröschen versehen.
«Ich hasse Rosa», hatte Maggie nach der Anprobe in den letzten Tagen stets gejammert. «Und wenn Lady Elisabeth wüsste, dass sie in dem Kleid wie ein aufgeblasenes Marzipanschweinchen aussieht, hätte sie sich für Grün entschieden!»
«Um darin auszusehen, wie ein aufgeblasener Frosch?», hatte Lena lachend erwidert und Maggie damit getröstet, dass ihre eigene schlanke Gestalt ruhig ein bisschen mehr Stoff vertragen konnte.
Dafür, dass die beiden jungen Frauen der rührigen Lady bei der Organisation der Hochzeit alle Freiheiten gelassen hatten, inklusive Auswahl der Brautjungfernkleider, durften sie ab sofort ‹Tante Elisabeth› zu ihr sagen.
«Du siehst bezaubernd aus», schwärmte Lady Elisabeth, während sie die Braut einer eingehenden Betrachtung unterzog. Ein Kompliment, das Lena nicht einmal aus Höflichkeit hätte erwidern können. Die Lady hatte gemäß ihrem offiziellen Alter von fünfunddreißig Jahren, das hinter dem tatsächlichen Alter mindestens fünfzehn Jahre zurücklag, nicht nur auf Rosa für das Kleid bestanden, sondern sich auch noch entsprechend geschminkt. Und während in London seit Jahren jedes Zuviel an Farbe verpönt war, lebte die Lady anscheinend immer noch im ausgehenden Rokoko. Den Mund grellrot bemalt, die Brauen geschwärzt, wippte ihr sorgfältig weiß gepudertes Doppelkinn im Takt ihrer hastigen Bewegungen. In kleinen, abgehackten Schritten defilierte sie an der wartenden Gesellschaft vorbei, mit hocherhobenem Haupt und einem stolzen Blick, als ob es sich um ihre eigene Hochzeit handeln würde.
Lena verkniff sich ein Grinsen, als sie die rosafarbenen Blüten bemerkte, die zu allem Überfluss Tante Elisabeths hellblonde Perücke schmückten, deren Locken über den Ohren zu kunstvollen Schnecken gerollt waren.
«Ach, Kind, es ist jammerschade, dass dein Vater dich nicht so sehen kann», bemerkte sie wenig taktvoll und tätschelte Lenas Wangen.
Schon seit den Morgenstunden kämpfte Lena mit den Tränen, weil sie sich tief in ihrem Innern niemanden sehnlicher herbeiwünschte als ihren Vater.
Lady Elisabeth hingegen sah die ganze Angelegenheit weitaus pragmatischer und zauberte mit einem breiten Lächeln etwas hinter ihrem Rücken hervor.
«Dein Brautstrauß!» Voller Stolz überreichte sie ihr ein beeindruckendes Gebinde aus flammend roten Blüten, in deren Mitte zarte, gelbe Fruchtkelche hervorschauten. Das Ganze war umrahmt von hellgrünen Blättern.
«Daran habe ich überhaupt nicht gedacht», erklärte Lena beinah wie zur Entschuldigung.
«Das ist ja auch nicht deine Aufgabe», erklärte Lady Elisabeth mit mütterlichem Lächeln. «Dein zukünftiger Ehemann hat mich damit beauftragt, dir diesen Blütenreigen zusammenstellen zu lassen.» Liebevoll streichelte sie
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