Flamme von Jamaika
Jess endlich auch die anderen Rebellen auftauchten. Die jungen Krieger waren in der Auseinandersetzung mit den Grauröcken unverletzt geblieben. Allerdings entnahm Baba den Gesprächen, dass die fünf offenbar in Notwehr zwei britische Sergeants erschossen hatten.
«Wir mussten sie töten», sagte einer der Männer zu Jess. «Sie hätten uns verraten, wenn sie am Leben geblieben wären.»
Ihrem Captain hingegen war die Flucht gelungen, nachdem man auch auf ihn aus einem Hinterhalt heraus geschossen hatte. Jess nickte nur und ersparte sich jeden Kommentar. Aus seiner angespannten Körperhaltung konnte Baba ablesen, dass er sich Sorgen machte. Die Sache würde noch ein böses Nachspiel haben.
Sie ritten weiter bergauf und erreichten schließlich das ehemalige Rückzugsgebiet der Maroon. Deren Vorväter hatten vor rund einhundert Jahren die ehemals weißen Herren gezwungen, ihnen einen Landstrich im Cockpit-County zu überlassen, einem Gebiet südwestlich des Lagers. Inzwischen besaßen die Maroon zwei Abgeordnetensitze im Parlament von Spanish Town.
Die
Flamme von Jamaika
, wie die junge Rebellentruppe sich nannte, der Jess seit gut einem Jahr angehörte, hatte das Gebiet von den einst siegreichen Maroon übernommen. Hier oben in die Gipfel der Blue Mountains trauten sich die Soldaten der britischen Regimenter von Falmouth und Kingston nicht hin, und auch kein Pflanzer würde seinen Kaffee ausgerechnet hier anbauen. Das Gebiet galt bei den Weißen seit jeher als zu gefährlich und zu unübersichtlich, als dass man sich gegen bewaffnete Wilde adäquat zur Wehr setzen könnte.
Jess und seine Kameraden nutzten die Abgeschiedenheit der Blue Mountains als geheimes Versteck für entflohene Sklaven. Ein weitverzweigtes Höhlensystem, das aus Kalkstein bestand und den Maroon bereits vor langer Zeit als sicherer Rückzugsort gegolten hatte, diente nun Rebellen wie Geknechteten als Unterschlupf. Die Gesuchten wurden so lange versteckt, bis man genug Geld beisammenhatte, um ein Schiff anzuheuern, das sie von den weißen Häschern unbemerkt in das Land ihrer Vorfahren bringen würde. Oder besser noch, bis man eine Revolution anzetteln konnte, die über alle Weißen aus Backra-Land, wie Jamaika unter den Sklaven hieß, hinwegfegen würde wie einer der gefürchteten Wirbelstürme, die im Spätsommer manchmal die Insel heimsuchten.
Zu diesem Zweck hatten Jess und seine Leute mit Hilfe der Maroon eine eigene kleine Armee aus entflohenen Sklaven rekrutiert, die das Lager vor Angreifern schützte. Außerdem waren die Männer von Jess für die Überwachung des umliegenden Dschungels ausgebildet worden. Man wollte sich gegen Verräter schützen, die das Lager unerlaubt verließen, um sich auf die Seite der Weißen zu schlagen.
Das Gleiche galt für Eindringlinge, die grundsätzlich als Spione bekämpft wurden. Jeder, der sich unangemeldet näherte und nicht zur Rebellenarmee gehörte, wurde erschossen. Baba hatte also verdammtes Glück gehabt, dass sie bei ihrem unerlaubten Ausflug nicht versehentlich von den eigenen Leuten erwischt worden war. Ohne Erlaubnis das Lager zu verlassen und Kontakt zu Weißen aufzunehmen, war zudem ein schweres Vergehen, auf das eigentlich die Todesstrafe stand. Dumm war nur, dass ausgerechnet ihr Sohn Jess, als Anführer der Krieger und Wachmannschaften, für die Unachtsamkeit der Patrouillen zur Verantwortung gezogen werden würde.
Mit Zustimmung der Maroon hatte Cato, als Oberhaupt der
Flamme von Jamaika
, zusammen mit dem Ältestenrat des Lagers Jess dazu bestimmt, die Führung und Ausbildung der Soldaten zu übernehmen. Die Entscheidung gründete nicht nur auf Jess’ Respekt einflößendem Äußeren, sondern auch auf der Tatsache, dass er auf Kuba eine militärische Ausbildung genossen hatte. Sein Master Fernando de Montalban hatte ihn mit achtzehn Jahren zum ersten Mal an das spanische Militär verliehen, wo er den Umgang mit Kanonen und Scharfschützengewehren gelernt hatte, und auch das lautlose Töten von Menschen. Nicht zu vergessen, den Einblick in geheime Militärstrategien, den Jess in seiner Zeit als Soldat gewonnen hatte.
Als sie den unsichtbaren Schutzwall durchquerten, begrüßte Jess seine Wachmannschaften, die durchweg mit modernen Langgewehren und Pistolen ausgestattet waren.
«Ich frage mich», raunte er Baba zu, als sie den Weg zum Dorf einschlugen, «wie du unbemerkt an unseren Leuten vorbeikommen konntest.»
Baba ersparte sich eine Antwort, um Jess nicht noch mehr zu
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