Flamme von Jamaika
zusammengekauert wie ein Kind. Tränen standen ihm in den Augen. Immer noch zitternd, kam er auf die Knie und schaute seine Mutter voller Reue an. Baba sagte nichts, starrte nur abwechselnd von Desdemona zu ihm.
«Was hast du ihm gezeigt?», fragte sie schwach.
«Die Wahrheit», sagte die Alte kaum hörbar.
«Die Wahrheit?»
«Es tut mir leid», brach es aus Jess hervor, wobei er Babas Hände ergriff und sie küsste.
Er hoffte, dass sie ihm vergeben würde. Obwohl er selbst viel Leid und Ungerechtigkeit erfahren hatte, war das, was er soeben erlebt hatte, nicht damit zu vergleichen. Und mit einem Mal konnte er verstehen, was seine Mutter zu ihrem Verhalten am heutigen Tag bewogen hatte.
«Ich hätte William Blake längst umgebracht», sagte er kalt. «Ihn und seinen verdammten Aufseher. Sag mir einen Grund, warum du dich all die Jahre mit einem Fluch zufriedengegeben hast?»
«Weil sein Tod die Sache nicht besser machen würde», kam Desdemona seiner Mutter zuvor. «Sein Tod würde die Geister der Unterwelt auf den Plan rufen und dem schaden, der ihn ausführt. Nur durch einen Reinigungszauber kann man versuchen, das folgende Unheil abzuwenden. Bei einem Fluch jedoch überlässt man den Geistern der Ahnen die Rache selbst.»
Jess rappelte sich hoch, immer noch beeindruckt von dem unvermittelten Einblick in schwarze Magie, den er gewonnen hatte. «Was immer du sagst», flüsterte er und nahm sich vor, für Mama Baba bei den Ältesten mehr als ein gutes Wort einzulegen.
Er selbst wünschte sich nur noch den Tod der verantwortlichen Männer.
Bevor Lena zum Herrenhaus zurückkehrte, wischte sie sich hastig die Tränen aus dem Gesicht. Sie wollte nicht, dass jemand von den Gästen ihre Bestürzung bemerkte. Skandale hatte es an diesem Tag schon weiß Gott genug gegeben.
Umso erschrockener war sie, als ein erneuter Aufschrei durch die Menge ging. Bevor sie nach Maggie Ausschau halten konnte, wankte Captain Peacemaker durch die Terrassentür in den Tanzsaal hinein.
Edward und ein weiterer Soldat stützten ihn. Peacemakers Uniform war pitschnass, der rechte Ärmel war aufgerissen und die halbe Brust von Blut durchtränkt.
«Um Gottes willen!», rief der Gouverneur und war sogleich zur Stelle, um seinem verantwortlichen Offizier eine Erklärung abzuringen.
Doch zunächst kümmerte sich Lafayette um den Verletzten, indem er ihm vor den Augen aller Anwesenden die Jacke auszog und ihn untersuchte. Zur Erleichterung aller stellte er fest, dass es sich bei der blutenden Wunde lediglich um einen Streifschuss handelte.
«Rebellen», keuchte Peacemaker. «Sie haben jenseits der Bananenfelder aus einem Wald heraus das Feuer auf uns eröffnet. Parker und McCarthy sind tot.»
Dem jungen Offizier standen die Haare zu Berge, und er war totenbleich. Man legte ihn auf die Chaiselongue, wo sich kurz zuvor noch Lord William von dem Anschlag erholt hatte.
«Ich habe gesehen, wie sie fielen. Jemand hat ihnen aus dem Gebüsch heraus direkt in den Kopf geschossen. Vorher haben sie die Hunde kaltgemacht. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Flucht zu ergreifen. Es müssen Dutzende gewesen sein.»
«Was hat das zu bedeuten?», ereiferte sich der Gouverneur. «Ich dachte, Sie verfolgen nur eine harmlose Irre?»
«So harmlos war sie vielleicht gar nicht!»
Der Captain wandte seinen erschöpften Blick zu Lord William, der ungläubig dreinschauend an ihn herangetreten war.
«Was sehen Sie mich so vorwurfsvoll an?», rief der Lord kaum weniger entsetzt als die übrigen Gäste. «Denken Sie etwa, ich wüsste, wer Ihre Kameraden auf dem Gewissen hat?»
«Nein, aber vielleicht können Sie uns etwas zu dieser Frau sagen?»
Lena entging nicht, dass nun alle wie gebannt auf Lord William schauten.
«Nein, kann ich nicht», erwiderte ihr Schwiegervater scharf. «Ich weiß genauso wenig wie alle anderen, wer sie gewesen sein könnte.»
Ein Raunen ging durch die Menge, und einigen war anzusehen, dass sie die Meinung des Lords nicht unbedingt teilten.
Auch der Gouverneur schien im Zweifel, ob es da nicht vielleicht doch etwas gab, mit dem der Lord hinterm Berg hielt.
«Sie müssen uns die Wahrheit sagen», drängte der Gouverneur ungeduldig. «Wenn es bei dieser Geschichte etwas gibt, das Captain Peacemaker wissen sollte, heraus damit. Schließlich geht es nicht nur um zwei tote Soldaten, sondern um die Sicherheit aller weißen Bürger Jamaikas.»
«Alles, was ich beizutragen hätte, ist schon zu lange her, als dass es noch
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