Flamme von Jamaika
Vögel aufflogen. «Kannst du dir das vorstellen, Desdemona? Mein eigener Sohn spricht von mir, als ob ich nicht mehr ganz bei Trost wäre!» Wutschnaubend stampfte sie mit einem Fuß auf den Boden und wirbelte die rote Erde auf. Jess seufzte und beobachtete skeptisch, wie Desdemona in ihrem selbst genähten Lederkleid aus der Hütte kam und seiner Mutter einen mageren Arm um die Schulter legte.
«So beruhige dich doch, Baba», sprach sie beschwichtigend auf seine Mutter ein. «Sei froh, dass Jess so tapfer für dein Leben eingetreten ist und sich selbst zum Opfer dargeboten hat, damit du bei uns bleiben darfst.»
Baba befreite sich mit einem Ruck aus Desdemonas Obhut und erklärte störrisch: «Dass du mir in den Rücken fällst, hätte ich am allerwenigsten vermutet! Ich wundere mich immer darüber, wie schnell sich neue Verbündete finden. Wer hätte das gedacht?»
Schulterzuckend wollte sie sich abwenden, doch Jess war schneller und hielt sie zurück, indem er ihren knochigen Oberarm wie mit einem Schraubstock umklammerte.
«Was ist jetzt?», knurrte er. «Wirst du deine Strafe antreten?»
«Keine Sorge, Söhnchen», lenkte sie ein. «Ich werde brav die Scheißeimer ausleeren und unseren Gefangenen eine köstliche Stockfischsuppe kochen, wie es unser verehrter Master Cato verlangt. Unter meiner Obhut wird das Verlies zum reinsten Grandhotel werden. Aber was mich wirklich wütend macht, ist die Tatsache, dass du schon wieder dein Leben für mich aufs Spiel setzt! Als ob ich mich nicht schon genug schämen müsste für das, was ich dir und den anderen angetan habe.»
Wutschnaubend marschierte Baba davon. Jess gab den verstörten Wachen mit einem Nicken zu verstehen, dass sie seine Mutter zum Gefängnistrakt eskortieren sollten. Der Ort lag abgeschieden oberhalb des Dorfes und hatte mehrere kleine Höhlen, deren Ausgänge man extra mit eisernen Gitterstäben, Scharnieren und dicken Vorhängeschlössern versehen hatte.
«Sie wird es verstehen», murmelte Desdemona und tätschelte Jess in großmütterlicher Weise den Unterarm, bevor sie in ihre Hütte zurückkehrte, wo schon einige Patientinnen warteten.
Durch die halb offene Tür konnte Jess erkennen, dass Selina unter ihnen war. Als ihr kritischer Blick ihn traf, wich er rasch zurück, weil er unvermittelt an Nathans Worte denken musste. Ob sie sich einen Liebestrank von Desdemona zubereiten ließ, um ihn zu verführen? Oder Gift, um ihn aus lauter Verärgerung ins Jenseits zu befördern? Jess zog es vor, sich schnell abzuwenden, damit sie nicht auf die Idee kam, ihn anzusprechen. Im Weggehen warf er einen Blick in den klaren Nachmittagshimmel, der keinerlei Stürme oder Regen ankündigte. Bevor er das Lager erreichte, traf er auf Nathan.
«Morgen wird ein perfekter Tag werden, um ein paar verlorenen Seelen das Leben zu retten», versprach er seinem Freund und Kameraden. «Sag den anderen, wir treffen uns nach Sonnenuntergang an der alten Gebetsstätte und besprechen das Wesentliche.»
Auch am Abend ließ sich Lady Elisabeth bei ihren Gästen entschuldigen, und so saßen Maggie und Lena vollkommen allein beim Dinner – umgeben von einem halben Dutzend hübsch gekleideter Haussklavinnen, die vor einem opulenten, französischen Buffet darauf warteten, ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen.
Candy Jones, der offenbar in Abwesenheit der Lady das Kommando über das Hauspersonal führte, war anscheinend nicht daran interessiert, ihnen Gesellschaft zu leisten.
Nach dem Dessert – Mangokokoskuchen mit frisch geschlagener Sahne – blieb auch Polette, die ihnen zuvor als Leibdienerin zugeteilt worden war, für den Rest des Abends spurlos verschwunden.
Lena und Maggie, die sich extra fürs Dinner umgezogen hatten, rannten nach dem Essen mit gerafften Röcken die breiten Treppen hinauf zu ihren Gästezimmern und legten in Windeseile ihre Reitkleidung wieder an. Danach schaute Maggie sich um und überlegte laut, was sie noch mitnehmen konnten.
«Wir gehen so, wie wir sind», entschied Lena. «Notfalls können wir uns von deinem Geld Kleidung kaufen. Ich werde es dir sofort zurückzahlen, wenn wir in Hamburg sind.»
«Zunächst müssen wir es unbeobachtet bis zu den Stallungen schaffen.»
Maggie ließ sich nicht davon abbringen, jedem von ihnen eine Bürste, einen Kamm sowie ein paar Toilettenartikel und Seife in zwei weiße Leinenbeutel zu stecken. Nachdem sie ihre Jacken über die Reitkleider gezogen hatten, waren sie so gut wie fertig. Plötzlich
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