Flamme von Jamaika
andere Ziele. Er war dabei, eine Revolution anzuzetteln, die sämtliche Weiße von der Insel jagen würde. Sein strenger Blick lag auf Jess, weil zunächst die Vergehen seiner Mutter behandelt wurden. Die Angeklagte hatte man wie üblich nicht hinzugebeten. Sie würde ihr Urteil im Frauenlager entgegennehmen, wo sie bis auf weiteres unter Beobachtung stand.
«Auf unerlaubtes Entfernen vom Lager steht der Tod», erklärte Cato mit gewichtiger Stimme.
Danach verlas er noch einmal die zwanzig Statuten, deren uneingeschränkte Befürwortung Grundvoraussetzung für den Aufenthalt in der Enklave waren. Jeder Neuankömmling musste sie auswendig lernen, bevor man ihm erlaubte, sich frei im Lager zu bewegen.
«Sie hat auf die Regeln geschworen und sich nicht daran gehalten», donnerte Cato und erreichte damit die murmelnde Zustimmung aller Anwesenden. «Außerdem ist es wegen ihr zu einem Gefecht mit britischen Soldaten gekommen. Dadurch wurden nicht nur unsere Krieger gefährdet, sondern auch unser Lager. Und deshalb müssen wir sie hängen», erklärte Cato ohne hörbares Mitleid in der Stimme.
Jess glaubte einen Moment lang, sich verhört zu haben. Er hatte Cato bereits am Morgen den gesamten Ablauf der Geschichte so wahrheitsgetreu wie möglich berichtet. Den Zusammenstoß mit den Soldaten hatte er dabei allerdings als reinen Zufall dargestellt. Außerdem hatte er ausgelassen, dass seine Mutter bei ihrem unerlaubten Ausflug bis nach Redfield Hall vorgedrungen war. Dann würde ihre Bestrafung, so hoffte er, nicht so drastisch ausfallen, wie es die Regeln des Lagers vorsahen.
Cato hatte ihm immerhin in Aussicht gestellt, Baba vor den anderen Brüdern verteidigen zu dürfen. Doch nun hatte er Jess’ schlimmste Befürchtungen faktisch vorweggenommen, ohne ihm noch einmal Gelegenheit zur Verteidigung seiner Mutter zu geben.
Jess wusste nur zu gut, dass Cato ein durch und durch falscher Hund war, launisch bis ins Mark und boshaft dazu. Vielleicht weil er ständig um seine Machtposition innerhalb der männlichen Lagerbewohner fürchtete. Jess gehörte zu jenen, die Cato am meisten beäugte. Denn Jess war als Anführer der Krieger bei seinen Männern äußerst beliebt und stellte daher schon seit geraumer Zeit eine ernstzunehmende Konkurrenz für das Amt des obersten Rebellenführers dar. Vielleicht war das auch der Grund, warum Cato ihn vor den anderen mit einem Todesurteil für seine Mutter demütigen wollte.
Jess war sich darüber im Klaren, dass der Regelbruch seiner Mutter eine Bestrafung verdiente, aber sie musste angemessen sein. Beruhigt stellte er fest, dass Catos Ruf nach Babas Tod wenig Zustimmung unter den Anwesenden fand.
Schließlich hielt es ihn nicht mehr an seinem Platz, und er erhob sich, um gegen Catos vorschnellen Beschluss Protest einzulegen.
Unter den wachsamen Blicken der übrigen Brüder ließ ihn Cato gewähren, wohl auch, um einen Tumult zu vermeiden.
Bemüht ruhig berichtete Jess, was Baba vor ihrer Flucht in die Berge hatte erleben müssen, und bezog sich dabei auf die Erlebnisse und Bilder, an denen Desdemona ihn kraft ihrer Magie hatte teilhaben lassen. Obwohl sein Bericht die Grausamkeit verdeutlichte, die seiner Mutter durch die Weißen widerfahren war, fiel die Reaktion der Männer eher verhalten aus.
«Sie hat aufgrund des unermesslichen Leids, das ihr von den Weißen zugefügt worden ist, vorübergehend den Verstand verloren», argumentierte Jess kühl, ohne ihr unüberlegtes Vorgehen in Redfield Hall anzusprechen, was seine These ohne Zweifel untermauert hätte. «Kein Grund, sie zu hängen, sondern höchstens einer, um sie eine Weile einzusperren, damit sie Zeit findet, wieder zur Vernunft zu kommen. Die Strafe sollte insofern milder ausfallen. Vielleicht kann Desdemona ihr helfen, damit ihre Seele möglichst rasch wieder den gewünschten Frieden findet.»
Zustimmendes Gemurmel ging durch die Versammlung, und die meisten Männer nickten.
«Ich gebe euch mein Ehrenwort, dass ich in Zukunft höchstpersönlich auf sie achtgeben werde. Wenn sie das Lager noch einmal ohne Erlaubnis verlassen sollte, könnt ihr mich an ihrer Stelle hängen. Ich denke, sie wird klug genug sein, ihren einzigen Sohn nicht wegen einer Dummheit zu opfern.»
Ein Raunen war in den Reihen des Ältestenrats zu hören.
«Starke Worte», bemerkte Nathan, nachdem Jess wieder Platz genommen hatte.
Cato beriet sich eine Weile murmelnd mit seinen Nebenmännern, bevor er aufstand, um das mögliche Urteil für die
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