Flammen der Rache
ihn am Handgelenk fest. »Es tut mir leid, dass ich zickig war«, sagte sie heiser. Wie ein Kätzchen krallte sie ihre splittrigen, schwarz lackierten Fingernägel in seine Haut. »Und das mit deiner Mutter tut mir auch leid«, fügte sie scheu hinzu.
Innerlich triumphierend setzte er sich wieder hin. »Und was ist mit meinem Vater?«, fragte er. »Tut es dir um ihn nicht auch leid?«
Sie lächelte verhalten. »Weswegen? Scheiß auf ihn. Er hat das Beste von sich gegeben, dann ist er verschwunden, bevor er weiteren Schaden anrichten konnte. Wir haben doch schon festgestellt, dass Männer verlogene Hunde und Schweine sind.«
»Die meisten Männer«, korrigierte er. Er drehte seine Hand unter ihrer, bis er seine Finger mit ihren verschränken konnte. Der Kontakt bescherte seiner Hand eine Trilliarde kleiner Miniorgasmen. »Der Kerl, der die Tagesschicht übernimmt, wird in knapp einer halben Stunde eintreffen«, sagte er. »Hättest du Lust auf einen Spaziergang? Ich könnte dir noch andere entsetzlich schlimme Wahrheiten über Männer erzählen, die du nie in der
Cosmopolitan
lesen wirst. Du könntest ein Buch darüber schreiben. Falls du interessiert bist.«
»Ich finde es selbst erstaunlich, aber das bin ich.«
5
Lily tat, als würde sie das betörende Lächeln nicht bemerken, das er ihr zuwarf, bevor er sich wieder an die Arbeit begab. Der Mann war gefährlich, wenn auch aus keinem der Gründe, die sie erwartet hatte. Sie war die letzten Wochen durch die Hölle gegangen, aber wer würde das vermuten, so wie sie mit Bruno gescherzt, gelacht und geflirtet hatte? Es musste an einer hormonbedingten Hirnschädigung liegen, dass sie sich so benahm. Aber hey, was bedeutet schon Todesgefahr verglichen mit einem superleckeren Stück Männerfleisch?
Dabei sah sie in Bruno Ranieri nicht nur ein Stück Fleisch. Weit gefehlt. Er war etwas Besonderes. Er raubte ihr den Verstand, jedenfalls das bisschen, das nach dem Stress der vergangenen sechs Wochen noch davon übrig war. Dabei hatte sie gedacht, Diplomarbeiten für betrügerische Studenten zu schreiben, wäre stressig. Aber das war ein Kinderspiel gewesen gegen das Leben als bettelarme Frau auf der Flucht.
Während dieser benommenen U-Bahnfahrt ins Nirgendwo war ihr als Erstes der Gedanke gekommen, zur Polizei zu gehen, aber irgendein Instinkt hatte sie davon abgehalten. Sie hatte die lauernde Bedrohung gewittert wie einen penetranten Gestank. Ihre Gegner hatten sie verfolgt und ihre Gespräche belauscht. Sie wussten, dass sie bei Nina zum Abendessen eingeladen war. Sie kannten Ninas Adresse. Sie hatten Howard ermordet und die Tat problemlos vertuscht.
Nein. Keine Polizei. Lily war auf sich allein gestellt. Sie aß noch ein paar Löffel Reispudding, und dabei fiel ihr Blick auf die rote Narbe, die sich über ihren Unterarm schlängelte. Sie korrigierte ihre Armhaltung, um die Wunde zu verstecken. Vermutlich hätte sie lange Ärmel tragen sollen, aber ihre Garderobe bot ihr nicht viele Optionen.
Sie konnte von Glück sagen, dass sie sich keine Tetanusinfektion eingefangen hatte. Sie hatte Mullbinden und Desinfektionsmittel gekauft und die Wunde in einer Starbucks-Toilette notdürftig versorgt. Nach Howards zahlreichen Selbstmordversuchen war sie sich mehr als bewusst, wie teuer der Besuch in einer Notaufnahme war. Es würde sie Hunderte Dollar kosten, die Wunde nähen zu lassen. Ganz davon abgesehen, dass jemand, der die Macht besaß, ihren Vater so einzuschüchtern, dass er sein schreckliches Wissen jahrelang für sich behielt, und ihn am selben Tag zu ermorden, an dem er sein Schweigen brach, um gleich darauf gedungene Mörder auf Lily anzusetzen, mit Sicherheit auch die Mittel besaß, sämtliche Notaufnahmen und Polizeidienststellen überwachen zu lassen.
Und was könnten die Cops schon tun? Ihr einen bewaffneten Bodyguard zur Seite stellen? Sie ins Zeugenschutzprogramm aufnehmen? Oh, bitte. Sie war für niemanden von Nutzen. Sie würde nicht gegen einen wichtigen Mafiaboss aussagen. Sie würde lediglich ihre Aussage zu Protokoll geben und anschließend allein nach Hause gehen, um dort zitternd darauf zu warten, dass jemand an der Tür rüttelte oder die Fensterscheibe einschlug – bis es dann tatsächlich geschah.
Darum hatte sie bei einer Bank gehalten, so viel Bargeld abgehoben, wie ihr Kreditkartenrahmen zuließ, sich einen großen Schlapphut, eine Sonnenbrille und eine übergroße Jacke gekauft. Dann hatte sie einen Nachtbus nach Philadelphia bestiegen.
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