Flammen der Rache
Folglich aß man fast ausnahmslos Kohlehydrate und kompensierte die Einsamkeit und die Angst durch Zucker.
Jetzt verschlimmerte sie ihre Verfehlungen noch, indem sie sich gleich zwei Desserts gönnte. Und dieser gemeine Kerl tat nicht das Geringste, sie vor ihrer eigenen Gier zu schützen.
Bruno war nicht schwer zu finden gewesen. Seine Firma verfügte über eine ausführliche, ansprechende, interaktive Webseite. Er war bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken vertreten, und sogar hier im Lokal hing das gerahmte Cover einer Zeitschrift, auf der sein umwerfendes, grinsendes Gesicht prangte. Lily hatte den
Portland-Monthly
-Artikel bestimmt ein Dutzend Mal gelesen. Er war einer ihrer ersten Treffer im Internet gewesen, als sie nach Informationen über Bruno gesucht hatte. Dort fand sich alles über ihn, serviert auf einem Silbertablett für jeden, der etwas über ihn wissen wollte.
Alles, bis auf die Informationen, die sie benötigte. Über die Dämonen seiner Kindheit.
Auf jeden Fall stalkte sie ihn mittlerweile aus den vollkommen falschen Gründen. Im Grunde wollte sie ihn sich aus nächster Nähe anschauen, um festzustellen, ob es nur eine Täuschung des Lichts war oder ob er wirklich so heiß aussah. Sie wollte seinen perfekten Körper abchecken. Er hatte keine protzige, im Fitnessstudio antrainierte Bodybuilderstatur – was sie verabscheute –, sondern stattliche, athletische Muskeln. In seinen langen Beinen und gut definierten Schenkeln steckte die Kraft eines Panters. Sein knackiger Hintern verlockte sie dazu, die Fingernägel hineinzukrallen und mit einem animalischen Freudenschrei seine steinharten Muskeln zu fühlen.
Vor drei Nächten hatte sie die erste Annäherung gewagt. Sie hatte sich für die Realität aus nächster Nähe gewappnet: schlechter Atem, vergrößerte Poren, Körpergeruch, irgendwas in der Richtung. Fast hatte sie auf einen schrecklichen Makel gehofft, nur um den Bann zu brechen.
Fehlanzeige. Keine Makel. Der Typ war perfekt. Lily musste die Zähne zusammenbeißen, den Blick abwenden und sich ermahnen zu atmen, als er ihre Bestellung aufnahm.
Sie ignorierte ihn, trotzdem überschwemmten die Informationen ihre Sinne. Die breite, muskulöse Brust. Das raspelkurze schwarze Haar, das lockig gewesen wäre, hätte er es zugelassen, aber das war nicht sein Stil. Seine italienischen Augen wiesen die Farbe von Rumtrüffeln auf, die mit feinstem Kakao bestäubt waren, und seine Bizepse dehnten die Ärmel des blütenweißen T-Shirts. Der dunkle Haarflaum auf seinen kräftigen, goldbraunen Unterarmen, das Muster von Adern und Sehnen, die Form seiner Hände – das alles hatte eine fast hypnotische Wirkung auf sie. Und dann sein Duft. Es war eine verführerische Mischung aus Tapioka, Kaffeebohnen und Spülmittel.
Zum Glück gehörte Sprachlosigkeit zu ihrem Plan. Lily hatte viel darüber nachgedacht, wie sie diese Sache angehen sollte, nachdem sie seinen seltsamen Alltag ausspioniert hatte, der keinen Schlaf beinhaltete. Es traf sich gut, dass es in ihrem eigenen ebenfalls keinen Schlaf gab. Sie hatte die Informationen analysiert und war zu folgendem Schluss gelangt: Ein Kerl, der so gut aussah, musste sich für ein Geschenk Gottes halten. Ergo war von ihrer Seite kühle Gleichgültigkeit gefordert, um sein Ego zu provozieren und seine Neugier anzustacheln.
Natürlich setzte das voraus, dass sie zu einer unwiderstehlichen Sexbombe mutierte. Das hatte eine ziemliche Herausforderung für ihren Geldbeutel dargestellt. Schönheit und Glamour waren kostspielig, und zwar sowohl in finanzieller als auch in emotionaler Hinsicht. Eine verführerische, erotische Ausstrahlung zu vermitteln und konstant aufrechtzuerhalten erforderte eine Menge Energie.
Aber sie war hoch motiviert. Sie wollte unbedingt weiterleben.
Lily hatte viel Erfahrung in kühler Gleichgültigkeit, doch an diesem Abend versagte sie auf ganzer Linie. Sie konnte den Blick fast nicht abwenden von seinem sexy Bartschatten, der markanten Linie seines Kinns, seinen scharfen Wangenknochen und den beiden Grübchen neben seinem Mund. Das pulsierende Kraftfeld seiner sexuellen Energie vibrierte an der Schutzwand, die sie um sich herum errichtet hatte.
Diese Faszination war nichts weiter als eine Ablenkung für ihren Kopf, damit sie nicht darüber nachdenken musste, wie einsam und verängstigt sie war. Damit sie nicht einen ihrer stressbedingten Panikanfälle erleiden oder sich gedanklich mit Howard und seiner Glasscherbe foltern würde.
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