Flammen des Himmels
alles wohl überlegt. Solange sie sich unauffällig verhielten, konnte niemand etwas gegen sie sagen. Das von Gerlind Sterken ausgehende Gerede würde keiner ernst nehmen, dies hatte deren Vater ihm am Vortag bestätigt. Thaddäus Sterken war immerhin der zweite Bürgermeister von Stillenbeck und musste es wissen. Beim letzten Mal hatten sie ihre Heimat auch nur verlassen müssen, weil ein Mitbruder unbedingt einen Mönch hatte bekehren wollen. Doch ähnliche Fehler hatten er und die beiden anderen Familienoberhäupter in dieser Stadt tunlichst vermieden.
»Es gibt keinen Grund für uns, Hals über Kopf davonzulaufen. Damit würden wir nur diesen Bluthund des Papstes auf uns aufmerksam machen, und der würde uns gewiss verfolgen und gefangen nehmen lassen. Am sichersten sind wir, wenn wir hierbleiben und brav die heilige Messe besuchen. Gott wird es uns verzeihen! Und du fügst dich darin ein, Frauke, sonst wirst du noch unser Verderben sein.« Damit war alles gesagt, dachte Hinner Hinrichs, und sein Blick warnte seine Tochter, weiter auf diesem Thema zu beharren.
Frauke empfand die Worte des Vaters als ungerecht. Immerhin war sie vorsichtiger als er und mied in Gesellschaft anderer alle verdächtigen Themen. Ihr Vater hingegen und Haug sprachen gelegentlich vom bevorstehenden Weltenende und dem Letzten Gericht, das nur wenige Auserwählte überstehen würden. Wahrscheinlich hatte jemand diese Bemerkungen gehört und an den zweiten Bürgermeister weitergetragen. So musste es gewesen sein, befand Frauke und überhörte dabei die Anweisung, die ihr die Mutter gab.
Erst als Helm ihr einen derben Rippenstoß versetzte, schreckte sie auf. »Aua!«
»Du sollst nicht träumen, sondern mir zuhören«, schimpfte die Mutter. »Ich sagte, du sollst zum Markt gehen und Gemüse einkaufen. Ich brauche es für das Mittagessen. Hast du verstanden?«
»Ja, Frau Mutter!« Wenn sie beleidigt war, mied Frauke das Wort »Mama«.
Zwar kaufte sie nicht ungern ein, doch zunehmend ärgerte sie sich darüber, dass immer nur sie gehen musste. Früher, als sie noch kleiner gewesen war, hatte Silke das übernommen. Damals war sie mitgeschickt worden, um der Schwester tragen zu helfen, nun aber musste sie alles alleine schleppen. Da sie jedoch wusste, dass ihr eine diesbezügliche Bemerkung nur lange Vorträge über Gehorsam und Ähnliches einbringen würde, aß sie schweigend ihren Morgenbrei auf, stellte die Schüssel auf die Anrichte und wollte den Korb nehmen.
»Zur Strafe für deine Aufmüpfigkeit wirst du erst abspülen«, erklärte die Mutter.
Ihren Ärger hinunterschluckend, nahm Frauke die Schalen, steckte sie in ein Schaff und wusch sie aus.
Ihre Mutter schüttelte den Kopf und wandte sich an ihren Mann, als wäre ihre Tochter nicht im Raum. »Ich weiß nicht, was in das Mädchen gefahren ist. Silke war nie so eigensinnig wie Frauke.«
»Wenn ich nur daran denke, dass sie den Propheten Melchior Hoffmann gefragt hat, wie er darauf kommt, dass die Welt ausgerechnet an dem von ihm vorhergesagten Tag untergehen soll«, sagte ihr Vater seufzend.
Am liebsten hätte Frauke ihn daran erinnert, dass an dem genannten Datum weder die Welt untergegangen noch Jesus Christus zurückgekehrt war. Doch mittlerweile hatte ein anderer Prophet namens Jan Matthys erklärt, Melchior Hoffmann habe die himmlische Eingebung nicht richtig verstanden. Das Weltengericht stände zwar kurz bevor, aber eben zu einem späteren Zeitpunkt als dem, den Hoffmann genannt hatte.
Während sie über diese Prophezeiungen und deren Wahrheitsgrad nachdachte, wurde Frauke mit dem Spülen fertig. Inzwischen hatten ihr Vater und Haug die Küche verlassen. Sie hörte, wie die beiden sich in der Werkstatt über die Qualität des Leders unterhielten, das Sterken ihnen hatte zukommen lassen. Der Vater sagte aufgebracht, dass er für einen guten Gürtel auch gutes Leder brauchte.
Ihre Mutter war in den Vorratskeller hinabgestiegen, um die Zutaten für das Mittagessen zu holen, und Silke stopfte in einer Ecke Strümpfe. Helm hingegen saß einfach da, ohne etwas zu tun. Dabei musterte er Frauke mit einem herablassenden Blick, als stehe er haushoch über ihr. »Sobald ich getauft bin, bist du das letzte Kind in unserer Familie und musst mir gehorchen!«, erklärte er.
Frauke verkniff es sich, ihm den Spüllappen um die Ohren zu schlagen, wie er es verdient hätte. Immerhin war sie kein unvernünftiges Kind mehr, sondern sollte in ihrem Alter dem Bild einer braven,
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