Flammen des Himmels
niemand. Es sei denn, diese Leute ziehen weit übers Meer und siedeln sich auf einer der Inseln an, die vor dem westlichen Kontinent liegen. Allerdings dürfte das keine gute Idee sein, denn Spanien erhebt Anspruch auf diese Ländereien, und dort herrscht nicht nur die katholische Kirche, sondern auch die Inquisition mit all ihrer Macht.«
Einen Augenblick lang hatte Lothar angenommen, eine Auswanderung der Wiedertäufer auf eine dieser indischen Inseln könnte der Weg sein, diesen Konflikt ohne Blutvergießen zu beenden. Doch diese Leute dürften in ihrer Verbohrtheit kaum dazu bereit sein, das Reich zu verlassen, und Kaiser Karl V. würde sie in seiner Eigenschaft als katholischer König von Spanien dort drüben niemals dulden.
Daher streichelte er Frauke über das Haar und zog sie kurz an sich. »Was auch geschehen mag: Die Angst darf dich niemals lähmen, das zu tun, was notwendig ist. Irgendwie werden wir dies hier überstehen!«
Lothar wusste genau, wie gering seine Möglichkeiten waren. Dennoch wollte er alles tun, um Frauke zu retten.
Sechster Teil
Der Prophet
1.
L othar war dabei, sich etwas zu essen zu kochen, als jemand heftig an die Tür klopfte. Er konnte gerade noch sein Kopftuch umbinden, da platzte Frauke herein.
»Lotte, Lotte, es gibt Neuigkeiten! Eben wurde gemeldet, Jan Matthys – der große Prophet! – sei in der Stadt eingetroffen. Alle Brüder und Schwestern eilen ihm entgegen, um ihn willkommen zu heißen!«
Fraukes Miene verriet Lothar, dass Matthys ihr nicht sonderlich willkommen war. Ihm lag der Täuferprophet ebenfalls schwer im Magen. Mittlerweile war es dessen Stellvertreter Bockelson im Verein mit Bernhard Rothmann, Bernd Knipperdolling und Heinrich Krechting gelungen, die Macht in der Stadt fast vollständig zu übernehmen. Ein Teil der bisher lutherisch gesinnten Bürger hatte sich den Wiedertäufern angeschlossen, und der Rest versuchte, sich irgendwie mit diesen zu arrangieren. Damit hatte sich die Hoffnung des Fürstbischofs, die Katholiken und die Lutheraner könnten sich zusammenschließen und gegen die immer aggressiver auftretenden Wiedertäufer vorgehen, vollends zerschlagen. Zu viele Anführer waren von den Fanatikern aus der Stadt getrieben worden oder hatten diese freiwillig verlassen.
»Uns wird nichts anderes übrigbleiben, als beim Erscheinen des holländischen Bäckers ebenfalls Freude zu mimen«, sagte er mit einem bitteren Auflachen. Ihm war klar, seine Tarnung hing davon ab, dass die anderen ihn – oder besser gesagt, Lotte – für eine eifrige Anhängerin des Propheten Matthys hielten.
»Einen Augenblick! Ich muss nur noch mein Schultertuch umlegen. So ist es mir draußen zu kalt«, sagte er noch, ließ Frauke los und nahm das dicke Wolltuch zur Hand. Kurz darauf hatten beide die Hütte verlassen und trafen schon nach wenigen Schritten auf die ersten verzückten Täufer.
»Er ist gekommen!«, rief ihnen eine Frau zu. »Jetzt wird auch der Heiland vom Himmel herabsteigen und uns erhöhen.«
»Sie benehmen sich, als wäre Christus jetzt schon erschienen«, flüsterte Lothar und zwang sich, ein fröhliches Gesicht aufzusetzen.
»Welch eine Freude! Welch ein Glück!«, stieß er hervor und fasste Frauke bei der Hand, damit sie ihm im Gedränge nicht abhandenkommen konnte.
Als sie an einem Bürgerhaus vorbeikamen, sahen sie hinter den Scheiben die angstvollen Gesichter derjenigen, die nicht zu den Täufern zählten. Diese schienen jetzt erst zu begreifen, dass die wahre Gefahr für sie nicht von Franz von Waldecks Truppen ausging, sondern von den fanatischen Predigern, die Rothmann und seine Anhänger in die Stadt geholt hatten. Weder Frauke noch Lothar blieb die Zeit, darüber nachzudenken, denn auf einmal klang eine laute und zornige Stimme vor ihnen auf.
»Das Ende ist nahe! Gott wird die Ungläubigen richten und vernichten. Wir, meine Brüder, müssen Buße tun, damit auch unsere Seelen nicht zu schwer mit Sünden beladen sind, wenn wir das Antlitz des Heilands schauen. Geht in euch und bereuet, was ihr in Gedanken, Worten und Taten gesündigt habt!«
Wenn das Jan Matthys ist, dann gute Nacht für diese Stadt, fuhr es Lothar durch den Kopf. Da er Frauke bei sich hatte, hätte er sich am liebsten im Hintergrund gehalten und nur von ferne zugesehen, wie der Täuferprophet hier einzog. Es war jedoch seine Aufgabe, seinem Vater alles zu berichten, was in Münster vorging. Aus diesem Grund schob er sich durch die zusammenlaufende Menschenmenge
Weitere Kostenlose Bücher