Flammen des Himmels
näher an jene Stelle, an der der Prophet seine Rede hielt, und sah diesen bald vor sich.
Jan Matthys war ein mittelgroßer, leicht untersetzter Mann mit ergrautem Haar und einem stattlichen Kinnbart. Bei ihm befanden sich Jan Bockelson, Heinrich Krechting und Bernd Knipperdolling, der mit seinem Schwert so wild herumfuchtelte, dass Lothar um die Leute in dessen Nähe zu fürchten begann. Auch Bernhard Rothmann und ein weiterer Täuferprophet, von dem Lothar bisher nur den Namen Johann Dusentschuer kannte, gehörten mit zu der Delegation, die Matthys gerade empfing.
Auf einmal drängte Mieke Klüdemann sich nach vorne und warf sich vor Matthys zu Boden. »Reinige mich von meinen Sünden, denn ich habe viele begangen!«
Matthys packte sie bei der Schulter, sah ihr in die Augen und schrie: »Bereue!«
»Ich bereue!« Die Frau kreischte und krallte die Finger in den schmutzigen Schnee, der von unzähligen Füßen niedergetrampelt worden war.
»So wie dieses Weib müsst auch ihr bereuen!«, rief Matthys der Menge zu. »Doch ihr müsst nicht nur die Sünden bereuen, die ihr begangen habt, sondern auch die Taten, die unterblieben sind.«
»Ich bereue auch diese«, klagte Mieke Klüdemann mit sich überschlagender Stimme.
»Ich bin gekommen, um hier unseren Herrn Jesus Christus zu empfangen. Doch ich sehe noch immer den Tand und das Blendwerk der römischen Kirche«, setzte Matthys seine Rede fort. Sein Finger wies auf eine Kapelle, in der noch eine Madonnenfigur stand.
Ehe ein anderer reagieren konnte, sprang Mieke Klüdemann auf, eilte in die Kapelle und riss die kleine Statue mit einem irren Lachen vom Podest. »Hier ist das Symbol des Unglaubens und das Blendwerk der von Gott verworfenen Kirche!«
Mit diesen Worten zerschmetterte sie die Figur auf dem hartgefrorenen Boden.
Während Jan Matthys ihr zufrieden zunickte, rief Bockelson voller Leidenschaft: »Wir haben gesündigt, indem wir all die heidnischen Statuen und Gegenstände der römischen Kirche an ihrem Ort ließen. Lasst sie uns vernichten, auf dass der Heiland uns nicht für Heiden hält, die es zu vertilgen gilt!«
Er hatte noch nicht geendet, da wälzten sich seine Anhänger in dichten Trauben auf den Paulusdom zu. Andere eilten zu Sankt Lamberti, Sankt Ludgeri und den übrigen Kirchen. Wilde Schreie erklangen und Jubel, wenn einer Statue Kopf oder Arm abgeschlagen wurde.
Frauke und Lothar wurden von der Menge mitgerissen und fanden sich kurz darauf im Dom wieder. Entsetzt beobachteten die beiden, dass die entfesselten Menschen alles zerschlugen, was mit der alten Religion in Verbindung gebracht werden konnte.
»Was sollen wir tun?«, fragte Frauke furchtsam und entdeckte im nächsten Augenblick ihren Bruder, der mit einem Hammer bewaffnet auf das Tabernakel einschlug und dabei hellauf lachte.
»Mit den Wölfen heulen!«, flüsterte Lothar ihr ins Ohr und zerrte mit einem gezwungenen Lachen am Chorherrengestühl herum.
Frauke tat es ihm gleich. Ebenso wie er spürte sie, dass die Menge auch nicht vor jenen haltmachen würde, die sie als Feinde ansah oder gar als Abtrünnige. Dabei war sie noch immer nicht getauft. Ihre Mutter hatte sich nicht darum gekümmert, Katrijn war es gleichgültig, und ihr Vater war weniger denn je zu irgendeinem Entschluss zu bewegen.
»Gott ist mit uns!«, hörte sie ihren Bruder schreien, der nun mit an dem Gestühl zerrte. Andere eilten hinzu und rissen das mit herrlichem Schnitzwerk verzierte Werk förmlich in Fetzen.
Einige nützten die Gelegenheit aus, um zu plündern. Mieke Klüdemann ließ einen goldenen Hostienkelch unter ihrem Gewand verschwinden und forderte anschließend die anderen mit schriller Stimme auf, alles kurz und klein zu schlagen.
Draußen vor dem Dom standen Jan Matthys und Jan Bockelson mit ihren engsten Anhängern und nickten zufrieden. Nach diesem Tag würde es keine Versöhnung mehr mit dem Fürstbischof und der römischen Kirche geben, und so konnten sie sich der Herrschaft über ihre Anhänger gewiss sein.
2.
F rauke und Lothar hätten später nicht zu sagen vermocht, wie es ihnen gelungen war, sich aus der entfesselten Menge zu lösen und zu der Hütte an der Stadtmauer zu schleichen. Da Frauke vor Kälte zitterte, legte Lothar ein paar Scheite nach, um das Feuer richtig zu entfachen. Ein wenig von dem Aufguss aus Pfefferminze und Süßholz war noch im Krug.
Obwohl der Sud nur noch lauwarm war, füllte er einen Becher und reichte ihn dem Mädchen.
»Hier, trink!«
Dankbar ergriff
Weitere Kostenlose Bücher