Flammen des Himmels
dass die beiden Helm trotz seines Rausches einfach ins Freie getragen und an einer Stelle abgelegt hatten, an der er nur durch einen glücklichen Zufall gefunden worden war.
»Dafür werden die Kerle bezahlen!«, murmelte er leise vor sich hin.
Frauke hörte es, streckte den Oberkörper vor und blickte um ihn herum. »Bei Gott, was ist das?«, fragte sie erschrocken, als sie den blutigen After des Bruders sah. Jetzt schob auch Silke Lothar beiseite und erschrak.
»Wie kann das passiert sein?«, fragte sie fassungslos.
Einen Augenblick lang zögerte Lothar noch, begriff dann aber, dass er den beiden die Wahrheit bekennen musste. »Ich weiß nicht, ob ihr je von den alten Griechen gehört habt?«
»Die Griechen sind doch jenes Volk, das von den heidnischen Osmanen unterworfen wurde«, antwortete Frauke nach einer kurzen Denkpause.
»Die meine ich nicht«, erklärte Lothar, »sondern die Griechen zur Zeit des großen Alexander und davor. Damals nahmen viele Männer, darunter hochberühmte Rhetoriker, Knaben bei sich auf und verkehrten mit diesen wie mit einem Weib.«
»Das geht doch gar nicht! Knaben haben doch nicht …« Noch während des Sprechens begriff Frauke, wie es gemeint war, und verstummte, während ihre Schwester ein wenig länger brauchte.
»Ihr meint, Männer würden das, was Männer ausmacht, dort hineinstecken?«, fragte sie entgeistert und schauderte. »Die sind doch noch schlimmer als Tiere!«
»Die, die Helm das antaten, sind schlimmer als Tiere, denn sie nahmen seinen Tod in Kauf. Vielleicht wollten sie dies sogar, damit ihre Untat nicht aufgedeckt wird. Aber das wird ihnen nichts nützen.«
Bei seinen letzten Worten wurde Lothar klar, dass es nicht so einfach sein würde, Faustus und Isidor zur Rechenschaft zu ziehen. In einer Stadt mit gefestigter Ordnung hätte er die beiden beim Gericht anzeigen können. Hier aber herrschte die Willkür von Fanatikern, und er konnte nicht einmal vermuten, wie die Entscheidung ausfallen würde. Er traute Matthys und Knipperdolling zu, auch Helm zu bestrafen, weil er mit den anderen mitgegangen war. Zudem gab es noch einen weiteren Grund für ihn, nicht auf die Anführer der Täufer zuzugehen. Faustus und Isidor kannten ihn, und wenn er die beiden anklagte, bestand die Gefahr, dass sie seine Verkleidung durchschauten. Dann schwebte er selbst in höchster Gefahr, während den beiden Lumpen vielleicht sogar Verzeihung gewährt wurde, weil sie ihn als Spion entlarvt hatten.
»Das müssen wir anders regeln«, erklärte er und sah die beiden Mädchen bittend an. »Ihr solltet euren Bruder die Nacht über hierlassen.«
Frauke nickte. »Das wird das Beste sein! Ich will nicht, dass die Eltern, vor allem aber Katrijn ihn so sehen.«
Auch Silke stimmte zu. Nach einem letzten Blick auf den Bruder, den Lothar nun auf sein eigenes Bett legte, nahm sie ihre Laterne auf und zupfte ihre Schwester am Ärmel. »Wir beide sollten jetzt nach Hause gehen.«
»Ich begleite euch!« Die Lage in der Stadt erschien Lothar zu unsicher, um die beiden alleine durch die Nacht gehen zu lassen.
»Danke!«, flüsterte Frauke ihm zu, obwohl sie sich durchaus zutraute, den Weg zum Haus ihres Vaters ohne seinen Schutz zurückzulegen.
Unterwegs schwiegen alle drei gedankenverloren. Während die beiden Mädchen sich fragten, wer ihrem Bruder das angetan haben konnte, richteten sich Lothars Gedanken auf die beiden Verdächtigen. Am liebsten hätte er sie noch in dieser Nacht aufgesucht und ihnen den Dolch zwischen die Rippen gestoßen. Doch als er sich dies vorstellte, begriff er, dass er zu einem solchen Meuchelmord gar nicht fähig war.
Unschlüssig, wie er Faustus und Isidor zur Rechenschaft ziehen konnte, brachte er Frauke und deren Schwester nach Hause, verabschiedete sich leise von ihnen und wartete, bis innen der Riegel vorgeschoben wurde. Dann kehrte er zu seiner Hütte zurück. Als er sein Heim erreichte, schlief Helm noch immer. Sein Gesicht hatte jedoch die fahle Blässe verloren und sah nun rot und verschwitzt aus.
Mit einiger Mühe flößte Lothar ihm etwas von seinem Pfefferminz-Süßholz-Trank ein. Da er nur dieses eine Bett besaß und es trotz des Feuers auf dem Herd lausig kalt wurde, blieb ihm nichts anderes übrig, als zu Helm unter die Decke zu kriechen. Der junge Bursche glühte im Fieber, und auch das hatte er Faustus und Isidor zu verdanken. Einen Teil der Nacht widmete Lothar der Frage, wie er es den beiden heimzahlen konnte. Als er schließlich einschlief,
Weitere Kostenlose Bücher