Flammen des Himmels
Menschen in der Stadt zum größten Teil der Lehre Luthers anhingen, hatten die Gassenjungen den Mönchen oft Dreckbatzen und Steine hinterhergeworfen. Das wagte nun keiner mehr. Auch gingen nun alle Bürger bis auf die eingefleischtesten Protestanten in die heilige Messe, die nun wieder in der Pfarrkirche gelesen wurde. Die Heuchelei, die damit verbunden war, stieß Frauke ab.
Als sie sich an diesem Tag der Lorenzikirche näherten, zwickte der Vater Frauke am Arm. »Diesmal schluckst du die Hostie hinunter, verstanden? Es ist doch nur etwas Mehl und Wasser und sonst nichts.«
Bei den letzten Gottesdiensten hatte Frauke die Hostie im Mund behalten und heimlich wieder herausgenommen. Sie begriff jedoch selbst, wie gefährlich dies war. Auch wenn die Blicke des Inquisitors nicht überall sein konnten, so gab es doch genug Zuträger, die in seinem Auftrag die Gläubigen in der Kirche überwachten.
Als Frauke in Richtung der Lorenzikirche blickte, gaukelte die Phantasie ihr vor, dass der Inquisitor dort wie eine große schwarze Spinne im Zentrum eines Netzes saß, das immer dichter gewebt wurde, damit sich die, die er als Ketzer bezeichnete, darin verfangen sollten.
»Wir hätten die Stadt verlassen sollen«, flüsterte Frauke.
Ihr Vater lachte hart auf. »Sonst noch was? Hier in Stillenbeck habe ich ein Haus und ein gutes Auskommen. Wenn wir ohne alle Vorbereitungen von hier verschwinden müssten, wäre ich ein armer Mann und könnte mich nur noch als Hilfsarbeiter verdingen. Damit aber würde ich nicht genug Geld verdienen, um euch alle satt zu bekommen.«
Auch Haug, Fraukes ältester Bruder, verspottete seine Schwester. Immerhin hatte die Gilde der Lederer bereits signalisiert, dass er bald damit rechnen könne, als Geselle aufgenommen zu werden. Dann konnte er irgendwann auch Meister werden, und das erschien ihm derzeit wichtiger als das mögliche Weltenende, das ihre Propheten an die Wand schrieben. Dennoch lauschte Haug andächtig den Predigern ihrer Gemeinschaft und hatte ebenso wie Silke bereits seine Erwachsenentaufe erhalten. Auch sein jüngerer Bruder Helm stand kurz davor, getauft zu werden. Nur bei Frauke zögerten die Ältesten noch, denn sie fragte einfach zu viel. So hatte sie tatsächlich wissen wollen, weshalb unser Herr Jesus Christus ausgerechnet in den nächsten Jahren das Jüngste Gericht abhalten wolle.
Inzwischen hatte Fraukes Familie die Lorenzikirche erreicht und suchte Plätze ganz hinten im Gestühl auf, die keiner der einheimischen Sippen gehörten. Als Frauke sich setzte, sah sie Gerlind Sterken an sich vorbeirauschen. Die Bürgermeisterstochter blickte starr geradeaus, damit die anderen nicht den Triumph auf ihrem Gesicht erahnen konnten. Von ihrem Vater hatte sie erfahren, dass dem Inquisitor die Worte, die sie am Tor gesagt hatte, tatsächlich zu Ohren gekommen waren. Nun hoffte sie, dass Jacobus von Gerwardsborn diese Leute verhaften ließ. In stillen Stunden malte sie sich aus, wie Silke Hinrichs sich auf dem brennenden Scheiterhaufen winden würde. Dann, so sagte sie sich, würde sie wieder als das schönste Mädchen der Stadt gelten.
Obwohl Frauke Gerlinds Gedanken nicht zu lesen vermochte, so brannte sich deren höhnische Miene in ihr Gedächtnis ein. So sah kein Mensch aus, der voller Andacht das Haus Gottes betrat. Nun erinnerte sie sich, gehört zu haben, Thaddäus Sterken würde der lutherischen Lehre anhängen. Damit war er in den Augen des Inquisitors ein Ketzer und nicht weniger gefährdet als ihre eigene Familie. Vielleicht sogar noch mehr, denn Sterken besaß große Reichtümer, und die Kirche und die Obrigkeit waren rasch bereit, einem reichen Ketzer sein Vermögen abzunehmen oder ihn gar auf den Scheiterhaufen zu bringen.
Mit dem Gefühl, dass auch andere sich vor Jacobus von Gerwardsborn hüten mussten, schwand Fraukes größte Angst. Ihr Vater war nur ein kleiner Handwerker, und weder er noch ein anderes Mitglied ihrer Familie hatte je den Verdacht erregt, zu den Wiedertäufern zu gehören. Und doch musste irgendetwas durchgesickert sein, denn für so boshaft, sich eine solche Anschuldigung aus den Fingern zu saugen, hielt Frauke selbst Gerlind Sterken nicht.
Aber wer sollte sie verraten haben? Die kleine Täufergemeinde in Stillenbeck bestand aus drei Familien, deren Mitgliedern sie vertrauen zu können glaubte. Sie waren auch nicht gemeinsam in die Stadt gezogen, sondern zu unterschiedlichen Zeiten und aus verschiedenen Richtungen. Vielleicht hatte ein
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