Flammen des Himmels
er Lothar wieder auf die Füße und schüttelte den Kopf.
»Da glaubt man, du würdest fleißig lernen und studieren. Stattdessen treffe ich dich sturzbetrunken an und muss mir sagen lassen, dass du geradewegs aus dem Haus der Sünde kommst.«
Lothar versuchte, in seinem benebelten Kopf eine vernünftige Antwort zu formulieren. Doch als er zu sprechen begann, nuschelte er so stark, dass er sich selbst kaum verstand.
»Schweig!«, herrschte der Vater ihn an. »Ich bin entsetzt, dich so zu sehen. Zum Glück konnte ich deine Mutter überreden, nicht mitzukommen. Es würde ihr das Herz brechen zu erfahren, dass ihr einziger Sohn zu einem Säufer und Hurenbock geworden ist.«
»Ich … ich wollte doch nicht«, stotterte Lothar und sah sich einem verächtlichen Blick seines Vaters ausgesetzt.
»Feige bist du auch noch, anstatt zu dem zu stehen, was du angestellt hast. Leg dich jetzt zu Bett und schlafe deinen Rausch aus. Morgen werden wir beide ausführlich über alles sprechen. Und nun gute Nacht – auch wenn du es nicht verdient hast.«
»Gute Nacht, Herr Vater!« Lothar setzte sich auf sein Bett und wollte die Schuhe ausziehen. Doch erst als Magnus Gardner ihm half, gelang es ihm. Er brauchte die Unterstützung seines Vaters auch, um sich des Wamses und der Hose zu entledigen. Das war ihm so peinlich, dass er am liebsten geweint hätte. Als er sich hinlegte, drehte sich alles um ihn, und sein Magen explodierte förmlich. Er schaffte es gerade noch, den Kopf über den Bettrand zu halten, dann erbrach er den Wein mit schmerzhaften Krämpfen.
Magnus Gardner war noch rechtzeitig beiseitegetreten und sah mit zuckenden Mundwinkeln auf ihn hinab. »So geht es einem, wenn man den Wein nicht gewohnt ist.«
Lothar fühlte sich so elend, dass er zu sterben wünschte. Irgendwann aber hörte das Würgen auf, und er rollte sich auf dem Bett zusammen. Keine zehn Herzschläge später war er eingeschlafen und schnarchte in seiner Trunkenheit so laut, dass Gardner das Gesicht verzog.
Dann aber grinste er. Bevor Lothar zurückgekommen war, hatte er mit Magister Kranz gesprochen und erfahren, dass dieser seinen Sohn ins Bordell mitgenommen hatte, um zu beweisen, dass Lothar trotz seines mädchenhaften Aussehens ein ganzer Kerl war. Kranz hatte auch berichtet, dass er den Jungen in der Schenke bei anderen Studenten zurückgelassen hatte. Nun war ihm klar, dass dabei etliche Becher geleert worden waren.
Für einen Augenblick glaubte Gardner, anstelle seines Sohnes sich selbst zu sehen, und erinnerte sich an seine ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht. Bei ihm war es eine willige Wirtstochter gewesen. Dass sie auch lange Finger machte, hatte er erst später bemerkt. In der Hinsicht war Lothar besser dran als er, denn dieser hatte mit Kranz einen väterlichen Freund gefunden. Er hingegen hatte erst bei seiner Ankunft in der Universität festgestellt, dass etliche Gulden in seiner Börse fehlten, und daraufhin eisern sparen müssen, um das erste Semester zu überstehen.
»Ich hätte nicht neben dem kleinen Biest einschlafen dürfen«, sagte er und sah dann erschrocken zu seinem Sohn. Doch der schlief mittlerweile tief und fest.
Vierter Teil
Das neue Jerusalem
1.
F ür den einstigen Stadtknecht Draas hatte sich das Zusammentreffen mit Moritz, einem Unteroffizier des Brackensteiner Landsknechtsfähnleins, als Glücksfall erwiesen. Nun musste er nicht weiter als Landstreicher über die Straßen ziehen, sondern hatte wieder ein Auskommen. Zwar hielt er Emmerich von Brackenstein, den Hauptmann des Fähnleins, für einen eitlen Fant, doch da der Edelmann Moritz alle Arbeit überließ, hatte er mit den einfachen Söldnern fast gar nichts zu tun.
Moritz organisierte den Rest der Reise, so dass sie die Reichsgräfin Isolde von Brackenstein wohlbehalten an ihrem Ziel abliefern konnten. Dort erteilte ihnen der Hauptmann den Befehl, ins Lager ihres Fähnleins zurückzukehren, während er selbst bei seiner Tante blieb.
Auf dem Rückweg unterhielten sich die Söldner darüber, welche Aufgaben ihrem Fähnlein in Bälde bevorstünden. Da Moritz ein paar Bemerkungen seines Hauptmanns aufgeschnappt hatte, wies er mit der Hand nach Norden. »Wie es aussieht, sammelt der Fürstbischof von Münster Truppen, um gegen seine eigene Hauptstadt vorzugehen. Der Reichsgraf hat ihm bereits unser Fähnlein angeboten. Allerdings mangelt es Franz von Waldeck an Geld. Daher ist es auch möglich, dass wir unter landgräflich-hessischen Befehl
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