Flammen des Himmels
zuerst über den Text, doch als Moritz das Lied ein zweites Mal sang, fiel er unwillkürlich ein und betrat mit der Strophe »des Wirtes Töchterlein« die Schenke.
Als der Wirt diese Worte vernahm, verzog er angewidert das Gesicht. Landsknechte waren nicht gerade die Gäste, die er sich wünschte. Rasch walzte er in die Küche, in der seine Tochter ein Stück von einem über dem Herdfeuer brutzelnden Spanferkel abschnitt, und nahm ihr das Messer aus der Hand.
»Du gehst mir heute nicht mehr in den Schankraum, und auch sonst lässt du dich nicht sehen! Verstanden?«
»Was ist denn los?«, fragte das Mädchen verblüfft.
»Soldaten! Wie die aussehen, sind sie auf Schabernack aus. Aber denen bleibt in meinem Krug der Schnabel sauber.« Der Wirt lud das Fleisch auf ein Brett und trug es in den Gastraum.
Mittlerweile hatten Draas und Moritz Platz genommen und winkten dem Mann. »Wirt, hierher! Bring volle Krüge! Wir sind durstige Männer«, rief Moritz.
»Wohl, wohl, die Herren! Ich bin gleich so weit.« Der Wirt servierte das Fleisch einem Gast, trat dann hinter seinen Schanktisch und füllte zwei Krüge bis zum Rand. Diese trug er zu beiden Soldaten und stellte sie mit einem »Wohl bekomm’s!« auf den Tisch.
»Auf dein Wohl!«, rief Draas und hob seinen Krug Moritz entgegen.
»Auf das deine und auf gute Kameradschaft!«, erwiderte dieser den Trinkspruch und stieß mit ihm an.
»Das Bier ist nicht schlecht«, lobte Moritz, nachdem er den ersten Schluck getrunken hatte.
Es blieb nicht bei dem einen Krug, und die beiden ließen sich auch ein paar Stücke von dem Spanferkel schmecken, bevor sie weiterzogen. Unterwegs dachte Draas über die Winkelzüge des Schicksals nach. In der Räuberherberge hätte er ebenso enden können wie der Schneider oder der Kurier. Beide waren allein auf ihre eigene Sicherheit bedacht gewesen und blindlings ins Verderben gerannt. Er hingegen wanderte mit einem Mann, den er vor einer Woche noch nicht gekannt hatte, einer unbestimmten Zukunft entgegen. Er bedauerte nur, dass er Silke Hinrichs wohl niemals mehr wiedersehen würde. Doch als er in sich hineinhorchte, sagte er sich, dass dies sogar gut war. So konnte er hoffen, das schöne Mädchen irgendwann zu vergessen.
2.
N achdem Jan Bockelson abgereist war, wirkte Klüdemanns Haus auf seine Bewohner weitaus düsterer als zuvor. Der Hausherr, sein Weib, Inken Hinrichs und Silke wollten diese Stadt so rasch wie möglich verlassen, um nach Münster – dem neuen Jerusalem – zu ziehen. Frauke fragte sich, was dort anders sein sollte als in dieser Stadt oder in dem Ort, in dem ihr älterer Bruder verbrannt worden war. Aus Erfahrung klug geworden, hielt sie jedoch den Mund und tat ihre Arbeit. Ihre Mutter, Mieke Klüdemann und Silke standen jedoch immer wieder zusammen und redeten über Jan Bockelson, der trotz seiner Jugend bereits zu den anerkannten Anführern der Täuferbewegung zählte.
Auch an diesem Tag musste Frauke sich wieder anhören, welch ein angenehmer, bildschöner Mann Jan Bockelson wäre, und ihre Schwester seufzte dabei so tief, als würde sie verzweifeln, wenn sie ihn nicht bald wiedersähe.
»Ich bin mit dem Boden in der guten Stube fertig und müsste jetzt die Küche wischen«, sagte Frauke in die Beschreibung all der Vorzüge des jungen Holländers hinein, die Mieke Klüdemann gerade aufzählte.
Die Frau runzelte ärgerlich die Stirn. »Musst du uns jetzt stören? Du siehst doch, dass wir einiges zu besprechen haben!«
»Mir ist aufgetragen worden, zuerst den Boden der guten Stube zu kehren. Das habe ich getan. Danach sollte ich die Küche wischen, aber das kann ich nicht, weil ihr mir im Weg steht!«
Frauke ärgerte sich, dass ihre Schwester ihr, seit Jan Bockelson hier gewesen war, noch mehr Arbeit überließ. Doch inzwischen schien es in diesem Haushalt wichtiger zu sein, über das neue Jerusalem und die Wiederkehr Christi zu reden, als seinem Tagwerk nachzugehen.
»Kehr den Hof!«, wies Mieke Klüdemann sie an, da sie nicht gestört werden wollte.
»Das mache ich. Aber schimpft hinterher nicht mit mir, weil der Boden der Küche schmutzig geblieben ist.« Mit diesen Worten verließ Frauke die Küche, holte den Reisigbesen und machte sich daran, den Hof zu kehren. Kaum hatte sie die ersten Striche getan, trat der Hausherr durch das Hoftor. In seiner Begleitung befanden sich zwei Männer, die das Anwesen scharf musterten.
Frauke wusste, dass Klüdemann sein Haus sehr eilig verkaufen wollte, um nach
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