Flammen im Sand
Modelle hat Yvonne
entworfen, basta! Und natürlich erhöhen wir die Preise. Mindestens um zehn
Prozent!«
Ehe Mamma Carlotta etwas erwidern konnte, wurde die Ladentür
aufgerissen. Wilko Tadsen stand auf der Schwelle, wütend und aufgebracht. »Das
kannst du nicht machen, Geraldine!«
»Was kann ich nicht machen?«
»Marikke hat gesagt, du willst die Modenschau durchziehen?«
Geraldine wies auf das Plakat an der Tür. »Das Interesse ist groÃ.
Selbstverständlich mache ich das nur, um für ein ehrendes Andenken an Yvonne zu
sorgen.«
»Das ist â¦Â« Wilko Tadsen schnappte nach Luft. »Das ist â¦Â«
»Pietätlos?« Mamma Carlotta freute sich immer, wenn sie eine neue
Vokabel anwenden konnte.
»Genau! Das ist es!« Wilko fuhr sich mit beiden Händen durch die
Haare. Dann warf er Mamma Carlotta einen geradezu verzweifelten Blick zu.
Beinahe hätte sie ihn falsch verstanden und seine Partei ergriffen, damit er
Geraldine davon überzeugen konnte, dass es sich nicht gehörte, an der
Modenschau festzuhalten, als wäre nichts geschehen. Aber zum Glück verstand sie
gerade noch rechtzeitig, dass er mit ihr allein sein wollte.
Mamma Carlotta hatte Verständnis. Sie machte sich sogar besonders
klein, während sie zur Tür huschte, die in die Werkstatt führte, um zu zeigen,
dass sie schon vor ihrem Verschwinden nicht mehr richtig anwesend war. Dass sie
die Tür nicht ins Schloss zog, sondern einen Spalt geöffnet lieÃ, war eine
andere Sache, und dass sie sich, während sie ihre Jacke auszog, neben den
langen Zuschneidetisch stellte, ebenfalls! An dieser Stelle konnte sie Wilko
Tadsen durch den Türspalt erkennen und dann auch Geraldine, die einen Schritt
auf ihn zumachte.
»Ich kann mir Pietät nicht leisten, Wilko«, sagte sie. »Ich muss
sehen, wo ich bleibe. Wenn Jannes mich vor die Tür setzt, muss ich wenigstens
ein finanzielles Polster haben. Ich hoffe, dass ich auf der Modenschau gut
verkaufe. Und wenn ich es dann noch schaffe, sämtliche Auftragsarbeiten zu
erledigen, kann ich ein paar Monate überbrücken, bis ich was Neues gefunden
habe.«
Wilko Tadsen betrachtete sie kopfschüttelnd. »Das Modeatelier gehört
dir nicht. Warum hängst du dich so rein?«
Geraldine lächelte. »Zwischen Yvonne und mir gab es eine
Vereinbarung. Wenn eine von uns stirbt, gehört der anderen alles. Wäre ich
zuerst gestorben, hätte Yvonne über alle Modelle verfügen können, die ich
entworfen habe. Und umgekehrt â¦Â«
Wilko unterbrach sie. »â¦Â ist die Sache erheblich lukrativer. Du
bekommst nicht nur alle Modelle, die Yvonne entworfen hat, sondern das ganze
Modeatelier?«
Geraldines Gesicht wurde plötzlich hart, das kleine Lächeln, das
immer in ihren Augen stand, wenn sie mit Wilko sprach, war mit einem Mal
verschwunden. »Lass uns jetzt nicht darüber reden. Und erst recht nicht hier im
Laden.«
Als die beiden die Werkstatt betraten, war Mamma Carlotta schon zu
der kleinen Garderobe gehuscht und hängte ihre Jacke auf.
»Würden Sie mir einen Gefallen tun, Signora?«, fragte Geraldine
Bertrand und sah sich um, als suchte sie nach einer Aufgabe, die sie Mamma
Carlotta übertragen konnte, damit sie auÃer Hörweite kam. Ihr Blick blieb an
dem Blazer hängen, der über der Lehne des Stuhls hing, auf den Yvonne sich
immer gesetzt hatte, wenn sie ihre Skizzen zeichnete. Niemand hatte bisher
diesen Stuhl benutzt, niemand den Blazer angerührt. Er war ein Teil Yvonnes
gewesen, als ihr Schicksal noch ungeklärt war, und dort hängen geblieben, als
es noch Hoffnung gegeben hatte. »Sind Sie so freundlich, den Blazer nach
nebenan zu bringen? Ich kann den Anblick nicht ertragen. Es ist so, als könnte
Yvonne jeden Augenblick durch die Tür treten.«
Mamma Carlotta liebte sie eigentlich, diese gefühlvollen
Formulierungen, aber bei Geraldine klangen sie falsch. Und Wilko, der sich an
den Zuschneidetisch lehnte, als wollte er mit Geraldines Worten nichts zu tun
haben, schien es genauso zu empfinden.
»Wir müssen uns auf die Modenschau konzentrieren«, fuhr Geraldine
fort, »und das können wir nicht, wenn uns die Trauer um Yvonne lähmt. Also,
bitte! Bringen Sie den Blazer weg.«
Mamma Carlotta zögerte. Wenn sie eins nicht leiden konnte, dann war
es, weggeschickt zu werden, um nicht Zeuge eines interessanten
Weitere Kostenlose Bücher