Flammen im Sand
Erik. »Jannes Pedersen hat ausgesagt, er habe
diesen Abend hier in Ihrer Kneipe verbracht.«
Tove nickte. »Stimmt.«
»Das wissen Sie, ohne nachzudenken?«, fragte Sören.
»So viele Gäste habe ich nicht.«
»Dann können Sie sich vielleicht auch erinnern, wann Herr Pedersen
kam und wann er wieder ging?«
Diesmal gab Tove Griess immerhin vor, über Eriks Frage nachzudenken.
»Er kam gegen zehn und ging ziemlich genau um Mitternacht wieder. Warum
interessiert Sie das?«
Erik sah ihn verblüfft an. »Herr Pedersen behauptet, er sei noch bis
drei Uhr morgens bei Ihnen gewesen.«
Tove griff nach einem sauberen Glas und begann es zu spülen. »Dann
lügt er.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Und ob! Wie wärâs mit einer Portion Grünkohl, Herr Hauptkommissar?
Hausgemacht!«
Erik fand nicht, dass er auf dieses Angebot antworten musste. Noch
immer war er derart überrascht, dass er um ein Haar nach einem Bier verlangt
hätte.
Sören war anzusehen, dass es ihm genauso ging. »Kein Irrtum
möglich?«, fragte er vorsichtshalber. »Pedersen sagt, Sie hätten die
Imbiss-Stube abgesperrt und dann mit ihm eine Flasche Genever geleert.
Sozusagen in geschlossener Gesellschaft.«
»Stimmt«, sagte Tove Griess und tauchte das nächste Glas ins Wasser,
das unbenutzt neben der Spüle stand. »Aber eben nur bis Mitternacht.«
Zwei Minuten später standen Erik und Sören vor der Imbiss-Stube und
sahen sich an.
»Wer hätte das gedacht!«, brachte Sören schlieÃlich heraus.
»Anscheinend ist Tove Griess noch immer so wütend auf Pedersen, dass er nicht
bereit ist, ihm ein falsches Alibi zu geben.«
Erik strich ausgiebig seinen Schnauzer glatt. »Oder«, sagte er
bedächtig, »er ist so wütend auf Pedersen, dass er ihm kein richtiges geben
will.«
Bevor Sören dazu etwas sagen konnte, ging Eriks Handy. Dr. Hillmot
war am anderen Ende. »Moin, Wolf! Ich habe eine interessante Neuigkeit für
Sie.«
»SchieÃen Sie los!«
»Yvonne Perrette war schwanger!«
Mamma Carlotta nähte, als hinge ihr Leben von sauberen
Kappnähten, Zier- und Saumstichen ab. Es tat ihr gut. Wenn ihr Kopf voll von
schweren Gedanken war, musste sie immer etwas in den Händen haben, das war in
Umbrien genauso wie auf Sylt. Erst recht, wenn sie diese Gedanken nicht aussprechen
konnte, sondern allenfalls in Selbstgesprächen dem Kern des Problems auf die
Spur kommen konnte. Doch Selbstgespräche verboten sich im Modeatelier von
selbst, also lieà sie die Nähmaschine surren wie einen ganzen Fliegenschwarm
und beugte sich so tief über ihre Arbeit, dass niemand sie anzusprechen wagte,
um sie nicht aus ihrer Konzentration zu reiÃen.
Sie merkte, dass Geraldine Bertrand sie gelegentlich beobachtete,
sich jedoch jedes Mal lächelnd wieder abwandte, ohne etwas zu sagen. So konnten
Mamma Carlottas Gedanken so ungestört arbeiten wie ihre Hände. Und als sie nach
einer Stunde das Pensum erledigt hatte, das Geraldine Bertrand ihr für den
ganzen Vormittag aufgetragen hatte, wusste sie, was zu tun war.
Entschlossen erhob sie sich. »Nun muss ich nach Hause, es wird Zeit
fürs Mittagessen.«
Dass Carolin angeboten hatte, die Tortellini zu kochen, die
GorgonzolasoÃe zuzubereiten und den Salat zu waschen, erwähnte sie nicht. Sonst
hätte Madame Bertrand am Ende noch von ihr verlangt, dem Abendkleid, das der
Höhepunkt der Modenschau sein sollte, die Pailletten aufzunähen.
»Ich muss auch noch den Fisch kaufen«, ergänzte sie und fand, dass
sie damit genug Gründe angeführt hatte, um die Arbeit zur Seite zu legen.
Geraldine nickte gnädig. »Ich habe vor einer Stunde mit Carolin
telefoniert. Sie hat mir versprochen, heute Nachmittag zur Probe zu kommen.«
Stolz präsentierte sie das Ergebnis ihrer Arbeit: Vier Kleiderständer
hatte Geraldine in die Mitte der Werkstatt geschoben, für jedes Model einen.
Auf ihnen hingen die Kleidungsstücke, die vorgeführt werden sollten. Andächtig
stand Mamma Carlotta nun vor dem Ständer, an dem ein Schild mit der Aufschrift Carlotta befestigt war, und bemühte sich, ihre Freude nicht
zu zeigen.
So aufregend es war, Mode für die reife und mollige Dame
vorzuführen, es änderte nichts an der Tatsache, dass es unanständig war, die
Modenschau so kurz nach dem Tode Yvonne Perrettes zu veranstalten.
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