Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flammen im Sand

Flammen im Sand

Titel: Flammen im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
Vom Netzwerk:
erzählt hatte. Die bedauernswerte
Frau, die durch die Schuld ihres Mannes im Rollstuhl saß. Ihr Alter war schwer
einzuschätzen, vielleicht Mitte vierzig, möglicherweise aber auch erst Ende
dreißig. Vermutlich war sie jünger, als sie aussah, die Verbitterung hatte
tiefe Linien in ihr Gesicht gegraben.
    Mamma Carlottas Herz floss über vor Mitleid. Diese arme Frau! An den
Rollstuhl gefesselt! Und von dem Mann, der ihr das angetan hatte, auch noch
betrogen! Gab es Schlimmeres?
    Nun lächelte Marikke Tadsen, und prompt sah sie hübsch aus mit den
Grübchen in ihren runden Wangen und den leuchtenden blauen Augen. Mit einer
anmutigen Bewegung strich sie sich das glatte blonde Haar aus dem Gesicht, das
der Wind jedoch gleich wieder vor ihre Augen pustete. »Sie sind Italienerin?«,
fragte sie. »Ich liebe Italien. Früher sind wir oft in die Toskana gefahren.
Als ich noch …« Sie schlug mit beiden Handballen auf die Armlehnen ihres
Rollstuhls. »Als ich noch nicht auf dieses Ding angewiesen war!«
    Mamma Carlotta war hocherfreut, jemanden vor sich zu haben, der ihr
Land liebte, und sah über Marikkes Bitterkeit hinweg. Im Schnellverfahren gab
sie ihr einen Überblick über ihr Leben und über den Grund ihres Aufenthaltes
auf Sylt. »Die Familie meiner verstorbenen Tochter braucht mich!«
    Während sie oft die Erfahrung machen musste, dass die Sylter nur
schwer mit einer Schilderung zurechtkamen, die mehr als fünf Sätze umfasste,
war Marikke Tadsen in keiner Weise irritiert. Im Gegenteil! Sie schien die
Unterhaltung mit Mamma Carlotta nun sogar zu genießen.
    Â»Wann müssen Sie im Modeatelier anfangen?«, fragte sie mit einem
Blick auf die Uhr.
    Mamma Carlotta winkte generös ab. »Das kann ich machen, wie ich
will. Yvonne Perrette lässt mir völlig freie Hand.«
    Â»Dann kommen Sie doch auf einen Kaffee zu mir rein«, bot Marikke an.
»Sie können auch einen Espresso haben.«
    Mamma Carlotta bedankte sich herzlich. So anziehend noch vor wenigen
Minuten die Arbeit im Modeatelier gewesen war, so verlockend war es nun, mehr
von dem Schicksal Marikke Tadsens zu erfahren. Ob sie ihren Mann noch liebte?
Ob sie ihm verziehen hatte? Ob sie wusste, dass er sie betrog? Vielleicht war
dies die Gelegenheit, es herauszufinden. Freudig folgte sie Marikke Tadsen ins
Haus und bewunderte die Geschicklichkeit, mit der sie ihre Jacke auszog und an
den Haken hängte, in die Küche rollte und dort die Kaffeemaschine bediente.
    Bald kamen sie auf Jannes Pedersen zu sprechen. »Er ist der Freund
meines Mannes«, erklärte Marikke beim Espresso, »aber ich verstehe nicht, dass
Wilko ihn seinen Freund nennt. Doch er meint, sie wären schon als Kinder
befreundet gewesen, und deshalb würde es so bleiben. Egal, was Jannes tut.«
    Â»Und was tut er?«, wollte Carlotta wissen.
    Â»Würden Sie jemanden einen Freund nennen wollen, der seine Frau
schlägt?«, fragte Marikke zurück. »Aber Wilko sagt immer, das ginge uns nichts
an. Außerdem wäre eine Frau, die sich das bieten lässt, selber schuld. Und überhaupt
– Jannes hätte ja schon die Quittung bekommen für sein Verhalten. Elske hat ihn
verlassen, und Yvonne wird es vermutlich auch nicht mehr lange bei ihm
aushalten.« Marikke beugte sich so weit vor wie möglich, als wollte sie leise
sprechen, damit niemand es hörte. »Sang- und klanglos ist Elske verschwunden.
Weil sie natürlich Angst hatte, dass er versuchen würde, sie zu halten.« Dann
flüsterte sie: »Mit Gewalt, versteht sich.«
    Marikke seufzte tief, ehe sie weitersprach: »Ich kann sie verstehen.
Sie verzichtet lieber auf Unterhalt, ehe sie noch einmal was mit Jannes zu tun
haben muss. Seit fünf Jahren hat sie nichts von sich hören lassen. Auch bei uns
hat sie sich nicht gemeldet. Aber das habe ich auch nicht erwartet. Wilko hätte
Jannes verraten, wo Elske ist, das wusste sie.«
    Verständnisinnig sahen sich die beiden an, und dann erzählte Mamma
Carlotta noch von dem Schornsteinfeger ihres Dorfes, der seine Frau oft
geschlagen und sich irgendwann mit gebrochenem Genick am Fuß der Kellertreppe
wiedergefunden hatte. Dass er gestolpert und hinabgestürzt war, hatte niemand
geglaubt, aber es war auch keiner bereit gewesen, es öffentlich anzuzweifeln.
»Schließlich wusste ja jeder, dass er es verdient hatte«, sagte Mamma Carlotta

Weitere Kostenlose Bücher