Flammen im Sand
persönlichen Dinge Ihrer Schwester?«
Sie zuckte nur mit den Schultern. »Wir bewahren hier im Laden nichts
Privates auf.«
»Keine Zeugnisse? Ein Meisterbrief oder so was?«
Geraldine wurde unsicher. »Okay, ich sehe nach«, sagte sie.
Sören stand schon an der Tür. »Können wir dann?«
Pedersen zeigte auf die Tür, die in die Schneiderwerkstatt führte.
»Dort lang ist es kürzer.«
Er ging ihnen voran in die Werkstatt, wo Carolin und Mamma Carlotta
ihnen mit groÃen Augen entgegensahen. Dass sie ihr Gespräch unterbrochen
hatten, war zu spüren. Als Erik den Raum verlieÃ, sah er, dass seine
Schwiegermutter bereits Anstalten machte, zu Geraldine Bertrand in den Laden zu
gehen, um mehr zu erfahren, als Erik bereit gewesen wäre, ihr zu verraten.
Carlotta Capella war deprimiert. So etwas kam bei ihr
selten vor. Negative Gefühle nannte sie Wut oder Enttäuschung, und gegen beides
konnte man etwas unternehmen. Eine Depression jedoch war wie eine Ohrfeige des
Schicksals, die man nicht zurückgeben konnte. Dass Geraldine Bertrand unter
diesen Umständen die Probe der Modenschau abgesagt hatte, war so eine Ohrfeige,
der man nur die Wange hinhalten konnte. Mit Wut und Enttäuschung war da nichts
zu machen. Es war verständlich, dass Geraldine nun etwas anderes im Kopf hatte.
Man musste sogar damit rechnen, dass sie nicht nur diese Probe, sondern die
ganze Modenschau absagte. Geraldine war von ihrer Schwester einfach
alleingelassen worden! So ungern Mamma Carlotta für sie Partei ergriff, so
blieb ihr doch nichts anderes übrig, als Mitleid für sie aufzubringen. Nur gut,
dass sie selbst nun im Modeatelier noch dringender gebraucht wurde als vorher.
Geraldine hatte sie geradezu angefleht, ihr in den nächsten Tagen beizustehen,
damit die fälligen Aufträge pünktlich erledigt werden konnten.
Mamma Carlotta hatte ihre liebe Mühe gehabt, Geraldine davon zu
überzeugen, dass sie an diesem Morgen einfach zu müde zum Arbeiten war.
Eingesehen hatte Madame Bertrand es erst, als sie die Rüsche in Augenschein
genommen hatte, die nicht besonders gut gelungen war. »Okay, gehen Sie nach
Hause! Wenn Sie sich nicht wohlfühlen, liefern Sie keine vernünftige Arbeit
ab.« Ãrgerlich hatte sie die Rüsche betrachtet, mit der Mamma Carlotta selbst
nicht zufrieden war.
Sie hörte auf, sich gegen den Wind zu stemmen, als die Bäckerei in
Sicht kam. Es war genug Brot im Haus, aber vermutlich konnte es nicht schaden,
einen kurzen Besuch bei Bäckermeister Arfsten zu machen. Wie gut, dass während
ihrer letzten Aufenthalte auf Sylt ein so freundschaftliches Verhältnis zwischen
ihnen entstanden war! Carlotta hatte sich gern die lange Geschichte seiner
Schwester angehört, die in der Türkei verheiratet war, hatte seine Sorgen zu
ihren eigenen gemacht und ebenso wie der Bäcker daran gezweifelt, dass eine
Sylterin in der Türkei glücklich werden konnte.
Er hatte ihr das Rezept für den Couscous-Salat seiner Schwester
besorgt, sie hatte ihm als Dank dafür das Rezept für die Pizza Florentina
aufgeschrieben, das er seiner Schwester mit vielen lieben GrüÃen von der
Schwiegermutter des Hauptkommissars in die Türkei schicken wollte. Dass Mamma
Carlotta auÃerdem über die Schulschwierigkeiten des Bäckersohnes genauestens
Bescheid wusste, verstand sich von selbst, und dass daran dessen Frau schuld
war, die vor zehn Jahren das Weite gesucht hatte, bestätigte sie natürlich
jederzeit gern.
Deswegen hatte sie es auch gewagt, Herrn Arfsten auf sich aufmerksam
zu machen, als er frühmorgens die frischen Brötchen in Käptens Kajüte
ablieferte. Keinen Augenblick hatte sie geschlafen bis zu diesem Zeitpunkt. Wie
auch? Auf dem harten Stuhl in der Küche? Auf einem Barhocker mit dem Kopf auf
der Theke? Versucht hatte sie es, aber die Körperhaltung, die sich zum Erzählen
und Rotweintrinken bestens eignete, war zum Schlafen alles andere als bequem.
Sogar mit dem Küchentisch hatte sie es versucht, weil sie sich darauf
wenigstens ausstrecken konnte, aber da es nichts gab, was sie sich unterlegen
konnte, hatte sie auch dort kein Auge zugetan. Sie hatte sogar darüber
nachgedacht, ein Fenster einzuschlagen, aber nichts gefunden, was gegen die
neue Sicherheitsverglasung ankam.
Am Ende war sie einfach auf dem Stuhl sitzen geblieben, hatte dafür
gesorgt, dass sie nicht runterfiel, wenn
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