Flammen im Sand
Mitternacht wieder zu Hause
gewesen und hätte ein paar Stunden Schlaf bekommen, statt sich gerade in dem
Augenblick ins Haus zu schleichen, in dem Eriks Wecker ging. Keine Minute zu
früh!
Was für ein Glück, dass niemand ihr Zimmer betreten und gesehen
hatte, dass ihr Bett unberührt geblieben war! Sie stöhnte auf. Alles in allem
konnte sie wirklich zufrieden sein. Wenn sie nur wüsste, was sie mit ihrer
Entdeckung in Käptens Kajüte anfangen sollte.
Anscheinend hatte die Wut Jannes Pedersen ins Modeatelier
getrieben. Erik wollte gerade die Ladentür öffnen, um ihm entgegenzugehen und
ihn dorthin zu lotsen, wo sie vor Zeugen sicher waren, da kam er auch schon
hereingestürmt. Dass er Sören die Tür an den Kopf stieÃ, schien ihn nicht zu
kümmern, die Anwesenheit der beiden Polizeibeamten nahm er einfach nicht zur
Kenntnis. Und die italienische Mama, die vor dem Laden ihr Fahrrad abstellte,
erst recht nicht.
»Wo ist deine Schwester?«, fuhr er Geraldine an. »Du weiÃt, wo sie
ist! Wetten?«
Erik hätte den rasenden Pedersen gern in seine Schranken verwiesen,
aber er hatte genug damit zu tun, seinen Blick in den seiner Schwiegermutter zu
bohren, damit sie merkte, dass sie sich unauffällig zu verhalten hatte.
Tatsächlich schien sie die Sprache seiner Augen zu verstehen. Mit
einem unbefangenen »Buon giorno!« betrat sie den Laden und lieà nicht einmal
erkennen, dass sie gekränkt war, als niemand ihren Gruà erwiderte.
»Hätte ich die Polizei verständigt«, fragte Geraldine mit scharfer
Stimme zurück und wies auf Erik und Sören, »wenn ich wüsste, wo Yvonne ist?«
Jannes stockte und schien plötzlich zu begreifen, dass die beiden
keine Kunden waren. »Sie sind wegen Yvonne hier?«, fuhr er sie an, als wollte
er sich im selben Atemzug verbitten, dass sie sich in seine Angelegenheit
mischten.
Vermutlich hätte er es auch getan, wenn Sören ihm nicht mit
abwehrenden Gesten klargemacht hätte, dass es etwas Wichtigeres gab als Yvonnes
Verschwinden. Erik hingegen stellte beunruhigt fest, dass Mamma Carlotta wie
angewurzelt stehen geblieben war und höchst interessiert von einem zum anderen
sah. Sören, der merkte, mit welchem heimlichen Dialog Erik beschäftigt war,
übernahm das Antworten: »Wir sind aus einem anderen Grund gekommen.«
»Und aus welchem, wenn ich fragen darf?«
Es war Pedersen anzusehen, dass noch immer die Wut in ihm brodelte
und er sich Mühe geben musste, den beiden Polizeibeamten einigermaÃen höflich
und ruhig zu begegnen.
»Das würden wir gern in aller Ruhe mit Ihnen besprechen.« Pedersen
kniff die Augen zusammen und sah Sören misstrauisch an, während Erik seiner
Schwiegermutter mit winzigen Kopfbewegungen die Richtung wies, in die sie sich
jetzt am besten entfernen sollte.
Zum Glück kam ihm Geraldine Bertrand zu Hilfe. »Fangen Sie bitte
schon mal mit der Rüsche für die dunkelgrüne Bluse an, Signora! Zugeschnitten
ist sie, aber der Kräuselstich fehlt noch. Sie erinnern sich? Ich weià leider
nicht mehr, wie das auf Italienisch heiÃt. Kräu-sel-stich! Eine doppelte Reihe
an der oberen Kante!«
Mamma Carlotta warf ihr einen beleidigten Blick zu. Anscheinend
hatte sie eine â selbst für eine Hobbyschneiderin â überflüssige Erklärung
erhalten. Doch dann wandte sie sich tatsächlich ab und verschwand mit
hoheitsvoller Miene in der Werkstatt. Dass sie die Tür offen lieÃ, entging
Erik, der sich nun endlich wieder auf seine Arbeit konzentrieren konnte.
»Bevor wir auf den eigentlichen Grund unseres Besuchs kommen«,
begann er umständlich, »wüsste ich gerne, ob ein konkreter Verdacht besteht,
dass Madame Perrette etwas zugestoÃen ist.« Er warf Geraldine einen schnellen
Blick zu. »Oder ist sie sogar suizidgefährdet?«
»Nein, sie ist abgehauen«, gab Jannes Pedersen zur Antwort.
»Warum sind Sie da so sicher?«, fragte Erik.
»Weil sie alles mitgenommen hat! Ihre Klamotten, ihre Papiere, ihr
Handy, ihre Handtasche ⦠was man eben so mitnimmt, wenn man nicht die Absicht
hat zurückzukommen.«
»Hat sie eine Nachricht hinterlassen?«, fragte Sören. »Eine
Erklärung, warum sie sich von Ihnen trennt?«
Pedersen schüttelte den Kopf. »Nein! Nichts!«
Erik wandte sich an Geraldine. »Und hier in der Werkstatt? Fehlen
irgendwelche
Weitere Kostenlose Bücher