Flammen im Sand
ihre
Gesundheit achtzugeben? Und hatte sie sich auch nur ein einziges Mal so
schwerfällig vom Tisch erhoben wie Erik? Eine scharfe Entgegnung lag ihr auf
der Zunge, aber in diesem Moment waren Carolins Schritte auf der Treppe zu
hören, und Mamma Carlotta schluckte die Anmerkung herunter, dass sie sich
stärker und leistungsfähiger fühlte als Erik. Jedenfalls nach einer Nacht, in
der sie in einem weichen Bett gelegen und ungestört geschlafen hatte!
Der Abend war eisig. Mit der Dämmerung war die Kälte heraufzogen,
und als es dunkel wurde, begann sie zu klirren. Erik betrachtete seine
Schwiegermutter besorgt. Hoffentlich erkältete sie sich nicht! Die Sorge,
nachdem er sie am helllichten Tage schlafend auf dem Sofa vorgefunden hatte,
wollte ihn nicht verlassen. Da mochte Mamma Carlotta noch so oft behaupten, sie
sei voll auf der Höhe, er konnte ihr einfach nicht glauben.
»Willst du nicht lieber in der warmen Stube bleiben?«, fragte er vorsichtig.
»Wir könnten dich nach dem Biikebrennen abholen zum Grünkohlessen.«
Aber wie erwartet wies Mamma Carlotta dieses Ansinnen empört zurück.
»Seit Tagen redet ihr von diesem Biikebrennen, als wäre es interessanter als
Weihnachten und Ostern zusammen. No, no! Ich will dabei sein!«
Erik hatte nichts anderes erwartet. »Und du bist wirklich warm genug
angezogen?«
Sie hielt ihm die Hände hin, damit er ihre dicken Handschuhe
begutachten konnte, und wies dann mit einer drolligen Geste zu ihrem Gesicht,
das aus einem mehrfach um den Hals geschlungenen Schal herausschaute. Auf ihrem
Kopf saà eine Wollmütze, darüber hatte Carolin noch fürsorglich die Kapuze
gestülpt. »Ich kann mich kaum bewegen, so dick bin ich angezogen.«
»Dann ist es genau richtig«, gab Erik zurück. »Auf der freien Fläche
neben der Norddörfer Halle gibt es keinen Schutz vor dem Wind.«
»Aber diese riesigen Feuer, von denen ihr gesprochen habt, werden
uns doch wärmen!«
Erik verzichtete darauf, ihr zu erklären, dass die Hitze des Feuers
schnell in den Himmel stieg, dass seine Glut zwar die Gesichter erhitzte, wenn
man sie dem Feuer zuwandte, dass aber die FüÃe auf dem gefrorenen Boden kalt
blieben. Das Biikebrennen bedeutete Frieren in der Hitze. »Hast du dicke Socken
an?«
Mamma Carlotta wurde ungeduldig. »So dick, dass ich kaum in meine
Schuhe passe.«
Zufrieden drückte Erik ihr eine Wachsfackel in die Hand und reichte
auch den Kindern ihre Fackeln. »Wir haben früher noch unseren Schmokpott selbst
gemacht«, erzählte er lächelnd, »und uns nicht diese Wachsfackeln gekauft.«
»Schmokpott?« Mamma Carlotta schien sich zu fragen, ob sie sich
diese neue Vokabel wirklich merken musste.
»Für den Schmokpott brauchte man eine leere Konservendose«, erklärte
Erik, »einen Drahtbügel und einen Stock, um sie aufzuhängen.« Er öffnete die
Haustür und schob seine Familie auf die StraÃe. Die Kinder liefen voran, die
Erinnerungen ihres Vaters hatten sie sich schon oft anhören müssen, nun waren
sie froh, dass es jemanden gab, der tatsächlich an ihnen interessiert war. »Die
Dose wurde mit Lumpen, Wachs, Teer und Ãl oder Petroleum gefüllt«, erzählte
Erik, während sie den Süder Wung hinabgingen. »An der Seite gab es Luftlöcher
für den besseren Durchzug. Und dann wurde der Inhalt der Dose angesteckt.« Erik
erwärmte sich an seinen Erinnerungen. »War das ein Gestank und ein Qualm! Viele
nannten den Schmokpott auch Stinkepott.«
Mamma Carlotta, die Feste liebte und in ihrer Heimat kein einziges
versäumte, sah ihn zweifelnd an. »Komische Feste feiert ihr auf Sylt.«
»Das Biikebrennen ist eine alte Tradition«, verteidigte Erik seine
Insel. »Früher versammelten sich die Seeleute zum Biikebrennen, bevor sie zum
Walfang aufbrachen. Das Biikebrennen war das letzte gemeinsame Fest. Und
auÃerdem war damit der Winter zu Ende. Er wurde im Biikefeuer verbrannt.«
»Zu Ende?«, fragte Mamma Carlotta. »Ich habe im April noch gefroren,
als ich zum ersten Mal auf Sylt war. Aber ihr redet ja schon vom Frühling, wenn
man nicht mehr am Boden festfriert.«
Wieder lachte Erik. Ihm machte der Unmut seiner Schwiegermutter
SpaÃ, die nicht glauben mochte, dass ein Fest gefeiert werden konnte, wenn man
sich dafür so dick anziehen musste, dass man nicht tanzen konnte, und
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