Flammen im Sand
stehen, nachdem
ihn einmal eine Nadel gepikst hatte, mit der Carolin die seitliche Naht enger
steckte, und blinzelte nur gelegentlich verlangend zu seinem Frühstücksteller.
Er drehte sich, wenn Carolin es befahl, und hielt sogar die Luft an, wenn sie
es verlangte.
»Sollte er die Arme nicht wieder runternehmen?«, fragte Erik
vorsichtig. »Im Büro steht er selten so da. Das Hemd muss auch passen, wenn er
ganz normal am Schreibtisch sitzt.«
Dr. Hillmot lachte schadenfroh, während Mamma Carlotta
prompt versicherte, dass ein Hemd, das mit ausgebreiteten Armen gut saÃ, für
jede berufliche Tätigkeit geeignet sei.
»Was für ein Unsinn!«, behauptete Erik und wurde bestätigt, als
Sören die Arme herunternahm und sich prompt die Schulternaht löste.
Carolin sah Sören streng an. »Haben Sie zugenommen?«
Das wies Sören weit von sich. Er halte seit Jahren sein Gewicht,
behauptete er.
Carolin jedoch schien die Schuld für die knapp gefasste Schulternaht
bei Sören suchen zu wollen, damit ihre Fähigkeiten als künftige Modedesignerin
nicht angezweifelt wurden. »Ich habe Sie schon ein paarmal in Käptens Kajüte
gehen und mit einer Currywurst wieder rauskommen sehen.«
»Sie gehen in die Kaschemme von dem schrecklichen Tove Griess?«,
fragte Erik fassungslos. »Ich möchte nicht wissen, wie es in dessen Küche
aussieht.«
»Manchmal habe ich eben Hunger«, erwiderte Sören so ärgerlich, dass
eine Stecknadel, mit der Carolin die rückwärtige Mittelnaht ändern wollte,
prompt zwischen seinen Schulterblättern landete. Aber Sören verbiss sich den
Schmerz und sagte zu Mamma Carlotta: »Natürlich nur, wenn Sie nicht auf Sylt
sind, Signora! Gegen Ihre Küche ist alles, was man bei Tove Griess kaufen kann,
wirklich ein FraÃ.«
»Wovon bezahlt der eigentlich seinen Umbau?«, fragte Dr. Hillmot.
»Zugegeben, ich habe mir da auch schon mal ein paar Bratwürste geholt. Aber
abgesehen von dem Strandwärter, der dort ständig rumsitzt, war ich der einzige
Gast. Der Laden kann nicht viel abwerfen. Das dürfte gerade zum Ãberleben
reichen, aber nicht für eine gründliche Renovierung.«
Erik sah Dr. Hillmot nachdenklich an. »Er macht viel selber«,
meinte er dann. »Wir haben ihn kürzlich vor dem Baumarkt von Wilko Tadsen
gesehen. Dort hat er vermutlich Material gekauft.«
»Eigentlich komisch«, sagte Sören sehr vorsichtig, ohne allzu tief
Luft zu holen, »dass er sich Werkzeug von Jannes Pedersen liefern lässt. Warum
kauft er das nicht auch bei Tadsen?«
»Vielleicht warâs bei Pedersen billiger«, meinte Erik. »Tove Griess
muss sicherlich jeden Euro zweimal umdrehen, ehe er ihn ausgibt.«
»Schon möglich.« Sören nahm erleichtert zur Kenntnis, dass die
Anprobe fürs Erste beendet war und er nur noch versuchen musste, sich so
behutsam aus dem Hemd zu winden, dass Stecknadeln und Heftfäden sich nicht
lösten. »Daher hat der auch so ein Theater gemacht, weil ein einziges Teil
fehlte.«
Sören wurde, als er wieder in seinem dunkelblauen Troyer steckte,
vor Erleichterung redselig und berichtete Dr. Hillmot ausführlich von dem
Streit zwischen Jannes Pedersen und Tove Griess. Erik war der Einzige, dem
auffiel, dass Mamma Carlotta plötzlich sehr nachdenklich aussah. So
nachdenklich, dass sie die Espressomaschine in Gang setzte, ohne einen einzigen
Löffel Kaffeepulver einzufüllen. Und während Sören schilderte, wie wütend Tove
auf Jannes Pedersen losgegangen war, weil er sich von ihm betrogen fühlte,
vergaà sie sogar, die Espressotasse unter der Maschine wegzuziehen. Sie schien
mit ihren Gedanken weit weg zu sein und merkte nicht einmal, dass Erik sie
genau beobachtete. Und wieder machte er sich Sorgen um seine Schwiegermutter.
GroÃe Sorgen!
Der Sturm schickte seine ersten Böen, während Mamma Carlotta
das Fahrrad auf die StraÃe schob. Noch als sie den Schuppen betreten hatte, in
dem die Fahrräder nachts aufbewahrt wurden, hätte sie von einem kräftigen Wind
gesprochen, nun aber war sie sicher, dass diese Macht, die aus den tief hängenden
Wolken auf die Erde hinabfuhr, einer dieser Stürme sein musste, von denen Lucia
ihr oft erzählt hatte. Wenn sie aus dem Modeatelier zurückkehrte, musste sie
unbedingt einen Besuch am Strand machen, um zu sehen, wie das Meer sich
gebärdete,
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