Flammen über Arcadion
schweigend zum Richtblock hinüberschritt, die Kraftverstärker hochregulierte, die gepanzerte Hand hob und Lauras Kopf mit einem Griff packte, als hätte sich die Stahlkralle eines Verladekrans um dessen Stirn gelegt. Der grauhaarige Invitro ächzte und versuchte weiter, sich zu wehren, aber gegen die Anzugsysteme hatte er keine Chance.
Loraldi legte ihm die Gesichtsmaske an und befestigte sie an der Stuhllehne, sodass er den an der Maske befestigten Knebel während der Folter bequem abnehmen und anbringen konnte, ohne sich ständig mit Lauras Gegenwehr herumärgern zu müssen. Danach entließ er Jonan mit einem zufriedenen Nicken.
»Ich befehle es Ihnen ein letztes Mal«, knurrte Aidalon. »Geben Sie uns den geheimen Standort des Brutlabors und die Namen Ihrer Mitverschwörer preis.«
»Das kann ich nicht«, sagte Laura mit verzweifelter Entschiedenheit. »Gott helfe mir, aber ich werde niemanden Ihrer kranken Gerichtsbarkeit zuführen.«
»Gott interessiert sich nicht für Sie!«, donnerte der Großinquisitor. »Sie sind ein Schandfleck der natürlichen Ordnung, und Sie zeugen weitere Schandflecken. Aber ich werde Sie schon noch brechen.« Mit unheilvoller Miene beugte er sich über sein Richterpult. Seine Blicke waren wie Brenneisen, die sich in Lauras Augen bohren wollten. »Ich werde Sie brechen … «
Auf ein Nicken des Großinquisitors hin legte Loraldi den Knebel an. Anschließend hob er eines der Folterwerkzeuge, eine Zange, wenn Jonan das richtig erkennen konnte. Methodisch begann er sein abscheuliches Werk – und obwohl Jonan sich für seine eigene Feigheit schämte, war er dankbar für den Wandschirm, der die blutigen Einzelheiten seinen Blicken entzog. Die erstickten Schreie hingegen, die der Invitro unter dem Knebel hervorpresste, würden ihn, da war sich Jonan ganz sicher, bis in seine Albträume verfolgen.
Kapitel 11
D ie Sonne hing bereits tief am westlichen Himmel, und Abendstimmung lag über Arcadion, als Carya sich zum zweiten Mal an diesem Tag dem Tribunalpalast näherte. Diesmal befand sich Rajael an ihrer Seite, und sie saßen in einer Kutsche, die ihre Freundin bezahlt hatte. Um ihre Tarnung als dekadente junge Bürgertöchter aufrechtzuerhalten, durften sie nicht zu Fuß vor den Toren der Inquisition erscheinen.
Sowohl Carya als auch Rajael trugen Kleider, die sie sich von einer jungen Schauspielerin geliehen hatten, die im Erdgeschoss von Rajaels Wohnhaus lebte. Die Kleider waren tailliert geschnitten, mit Pailletten, schmalen Trägern und berüschtem Dekolleté. Strumpfhosen, zwei kecke Haarreifen und Handschuhe, die bis zu den Oberarmen reichten, vervollständigten das Erscheinungsbild. Carya fühlte sich gar nicht wohl in diesem Aufzug. Als sie ihr auffällig geschminktes Gesicht im Spiegel betrachtet hatte, war es ihr vorgekommen, als blicke sie irgendein exotischer Vogel an – nun ja, zumindest einer, der in einem goldenen Käfig lebte.
Sie sah zu Rajael hinüber, um sich daran zu erinnern, warum sie das alles auf sich nahm. Dabei war ihr eigenes Ungemach – das Essen mit Alesandru, diese befremdliche Aufmachung – letztlich gering im Vergleich zu dem, was Rajael durchmachen musste. Um ihre vom Weinen aufgequollenen Augen zu kaschieren, hatte Rajael sie mit dicken Lidstrichen umrandet. Ihre Lippen glänzten blutrot vom Lippenstift. Sie sah wunderschön aus – und gleichzeitig dem Tode nah.
Der Gedanke jagte Carya einen Schauer über den Rücken. Rasch schob sie ihn von sich.
»Bist du aufgeregt?«, fragte Rajael.
»Was denkst du denn?«
Rajael ergriff Caryas Hand und drückte sie fest. »Ich auch. Glaub mir, ich auch.«
»Du wirst keine Dummheiten machen, während wir im Tribunalpalast sind, nicht wahr?«, fragte Carya.
Rajael lächelte traurig. »Ich will Tobyn nur beistehen, wie wir es uns einst versprochen haben: in guten wie in schlechten Zeiten.«
»Ihr seid doch gar nicht verheiratet«, wunderte sich Carya.
»Nein«, gab ihre Freundin zu. »Aber du weißt doch, was man sich alles schwört, wenn man jung ist und der silberne Vollmond um Mitternacht die Dächer der schlafenden Stadt bescheint.«
Aus erster Hand wusste Carya das eigentlich nicht. Sie hatte noch nie mit einem Geliebten nachts über die Dächer der Stadt geschaut. Ihre Eltern hätten das auch niemals erlaubt. Aber sie konnte es sich vorstellen. Sie beneidete Rajael ein wenig um die Erfahrung – nur um sich gleich darauf eine Närrin zu schelten. Rajael verdiente ihr Mitleid, nicht ihren
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