Flammen über Arcadion
Ausdruck zu verleihen. Er wollte nur mal schauen, wie weit er den Frischling an seiner Seite treiben konnte, bevor dieser in seinen Anzug kotzte.
»Ich konnte es nicht so genau sehen, weil ich am Rand der Richtkammer Wache halten musste. Aber ich glaube, dass sie ihm zuerst mit einem Schälmesser die Haut vom Fleisch gezogen haben. Immer nur kleine Stückchen, damit er nicht am Schock stirbt. Dann haben sie ihm die Fingernägel ausgerissen, einen nach dem anderen, bevor sie angefangen haben, die Finger und Zehen abzuschneiden.«
Eigentlich waren solche bösen Scherze streng verboten, aber wie in vermutlich jeder Männergesellschaft sahen die Vorgesetzten nicht so genau hin, wenn die unteren Ränge einander auf die Probe stellten. Was dich nicht umbringt, macht dich hart. Sprüche wie diesen hatte Jonan in den letzten Jahren bis zum Erbrechen zu hören bekommen.
»All diese blutigen Stücke haben sie vor ihm auf einen Metalltisch gelegt, damit er sie gut sehen konnte. Sein eigenes Fleisch und Blut sollte ihn dazu bringen, seine Sünden zu gestehen. Aber er hat immer nur geschrien, dass er unschuldig sei. Das geht einfach nicht in meinen Kopf rein. Ein Wort von ihm, und die Inquisitoren hätten seinem jämmerlichen Leben ein Ende gesetzt. Aber nein, er hat sich gewehrt, sodass sie ihm als Nächstes mit einem langen, heißen Messer … «
»Bist du bald fertig?«, ging Jonan unwirsch zum Angriff über. »Du plapperst wie ein Freudenmädchen, das Angst vor dem ersten Mal hat. Wenn unser Künstlicher nur halb so geschwätzig ist wie du, müssen die Inquisitoren nicht mal ihr Folterwerkzeug auspacken.« Im Grunde hasste er diese derbe Sprache, aber es war die einzige, die Burlone neben geschnarrten Befehlen verstand.
Der andere Templer brummte etwas Unflätiges, hielt danach aber tatsächlich den Mund.
Vor ihnen endete der Gang in einem etwas helleren Rechteck, das in die Richtkammer führte. Bei der Kammer handelte es sich um einen kreisrunden, steinernen Raum, der in Form eines steilen Trichters aufwärts strebte. Im Zentrum befand sich der Richtblock, ein vier mal vier Meter messender Steinquader, auf dem ein Stuhl stand, an dem der Angeklagte während des Prozesses festgeschnallt wurde. Ein medizinisch anmutender Wandschirm aus hellem Stoff verbarg die grausigen Werkzeuge der Folterer.
Vor dem Richtblock erhob sich der Richtersitz, ein geradezu absurd hoch aufragendes Podest, von dem ein Banner mit der dreistrahligen Halbsonne des Lux Dei herabhing und von dem aus der Inquisitor falkengleich auf den Angeklagten hinabschaute. Vier grimmig dreinblickende Schöffen flankierten den obersten Richter. Über ihnen prangte ein weiteres riesiges Emblem des Lux Dei als goldenes Halbrelief an der Wand.
An den Wänden zur Linken und zur Rechten erstreckten sich drei Galerien übereinander, von denen aus geladene Gäste dem Prozess beiwohnen konnten. Im Gegensatz zum Richtersitz waren die Galerien direkt in die Wand der Kammer eingelassen und lagen weitgehend im Dunkel. Der Angeklagte sollte die Gäste nicht sehen, sondern sich mit seinen Richtern allein fühlen, höchstens beobachtet von unsichtbaren Augen.
Nicht nur zu diesem Zweck war es in der Kammer vergleichsweise dunkel. Lediglich einige sehr gezielt ausgewählte Stellen wurden durch Beleuchtungsquellen betont. Dazu zählten der Richtblock, auf den ein Kegel aus Helligkeit wie das Licht Gottes von der Decke der Kammer herabfiel, sowie die Richtersitze, die von unten angestrahlt wurden, um den Eindruck der Bedrohung, die vom Inquisitor und seinen Begleitern ausging, noch zu verstärken.
Als Jonan, Burlone und ihr grauhaariger Gefangener die Richtkammer erreichten, wurden sie von einem Gerichtsdiener empfangen, der das metallene Ende seines Zeremonienstabes auf den Steinboden krachen ließ. Alle gemurmelten Unterhaltungen, die bis dahin den schachtartigen Raum erfüllt hatten, verstummten schlagartig, und die Aufmerksamkeit der Anwesenden richtete sich auf die drei Männer.
»Der Gefangene Mondo Laura tritt vor den ehrwürdigen Großinquisitor Aidalon!«, proklamierte der Gerichtsdiener.
Oben auf dem Podest beugte sich der Richter vor. Großinquisitor Aidalon war ein Mann fortgeschrittenen Alters.Aber obwohl sein langes, von einem sorgsam gestutzten Bart geziertes Gesicht von Falten durchzogen war und erste Altersflecken aufwies, hätte es niemand gewagt, Aidalon für einen schwachen Greis zu halten. Die Lippen zu einem schmalen, unerbittlichen Strich
Weitere Kostenlose Bücher