Flammen über Arcadion
befragt werden sollen oder ob sie in Haft bleiben.« Er zögerte. »So, wie ich die Inquisition kenne, wird sie sie allerdings nicht so schnell wieder freigeben.« Carya nickte. »Dann muss ich versuchen, sie zu retten. Nur meinetwegen befinden sie sich in dieser schlimmen Lage.«
Natürlich verstand Jonan ihre Beweggründe, aber die Vorstellung, sich in die Höhle des Löwen zu begeben, nachdem sie die Bestie so richtig gereizt hatten, schmeckte ihm überhaupt nicht. »Das wird nicht einfach werden. Zu zweit kann man keinen Ausbruch bewerkstelligen, vor allem dann nicht, wenn man selbst steckbrieflich gesucht wird. Wir benötigen Informationen, wir benötigen Ausrüstung.« Er blickte zu Carya hinüber. »Kurz gesagt: Wir brauchen Leute, die uns helfen.«
Carya senkte missmutig den Kopf. »Ich weiß.«
»Meinen Bekanntenkreis können wir getrost vergessen«, fuhr Jonan fort. »Das sind alles brave Kirchgänger und Anhänger des Lux Dei. Wie sieht es bei dir aus?«
Einen Moment lang starrte Carya nachdenklich ins Leere. »Onkel Giac«, sagte sie schließlich. »Wir sollten uns mit Onkel Giac treffen.«
Es dauerte fast vier Stunden, bis sie sich durch die halbe Stadt zu Onkel Giacs Wohnung am Nordrand des Universitätscampus vorgearbeitet hatten. Immer wieder mussten sie Streifen ausweichen und Umwege laufen oder sich irgendwo verbergen, um nicht entdeckt zu werden. In einem kleinen Gebrauchtwarengeschäft tauschten sie ihre Overalls und Caryas Kleidung gegen eine Hose, einen Rock, ein Hemd und eine Bluse ein. Die Sachen waren von minderer Qualität und der Tausch eigentlich ein Verlustgeschäft für sie, aber in normaler Kleidung fielen sie im Stadtinneren weniger auf als in einheitlich blauen Overalls.
Als sie die Straße erreichten, in der das Wohnhaus von Caryas Onkel lag, bedeutete Jonan Carya zurückzubleiben. »Ich schaue mich erstmal um, ob uns jemand dort auflauert«, erklärte er. »Schließlich könnten auch die Stadtwache oder die Inquisition auf den Gedanken kommen, dass wir uns an deinen Onkel wenden.«
Mit leichtem Unbehagen stellte sich Carya in einen Hauseingang. Sie bemühte sich um eine gelangweilte Miene, so, als sei sie mit einer Freundin verabredet, die sich verspätet hatte. Während sie auf Jonans Rückkehr wartete, begannen sie erste Zweifel zu beschleichen. Der Bruder ihres Vaters mochte ein Querulant sein, ein frei denkender Mann, der sich niemals ganz den Lehren des Lux Dei ergeben hatte. Sein Widerstand begründete sich jedoch, soweit Carya das den mittäglichen Gesprächen entnommen hatte, vor allem aus seinem Zorn darüber, dass man ihm als Physiker sein Fach beschnitt und grundlegende Forschung und Theorien unterband. Aber machte ihn das zu einem Verbündeten für zwei gesuchte Kriminelle? War Giac für die Last, die Carya ihm aufzubürden beabsichtigte, bereit?
Ich denke zu weit voraus , erkannte sie. Er soll uns ja erstmal nur zuhören. Ob er uns danach helfen will, entscheidet er ganz allein. Und wenn er mit dieser ganzen Angelegenheit nichts zu tun haben möchte, verschwinden wir einfach wieder.
In diesem Moment kehrte Jonan zurück. »Die Luft scheint rein zu sein«, erklärte er. »Rasch, komm.«
Sie liefen zu dem Haus hinüber, und da die Eingangstür weit offen stand, gingen sie einfach hinein und stiegen hinauf in den ersten Stock, wo Giac wohnte. Rasch klopfte Carya an – bevor sie es sich noch anders überlegen konnte. Sie hoffte, dass Giac zu Hause war. Als Dozent an der Universität arbeitete er zu verwirrend unregelmäßigen Zeiten.
Sie hatten Glück. Es dauerte nur einen kurzen Moment, bevor ihr Onkel ihnen die Tür aufmachte. Als er Carya erblickte, hellte sich sein Gesicht auf. »Carya!«, rief er erleichtert. »Ich habe schon auf dich gewartet. Schnell rein mit dir. Und mit Euch auch, Templer Estarto.«
»Sie können Jonan zu mir sagen«, erwiderte Caryas Begleiter. »Mir scheint, dass ich seit gestern Abend offiziell kein Templer mehr bin.«
»Freut mich. Ich bin Giacomo Diodato – oder einfach Giac.«
Die beiden Männer schüttelten einander die Hand, während Carya und Jonan den Wohnungsflur betraten. Hinter ihnen schloss Giac die Wohnungstür wieder.
»Da Sie meinen Namen kennen, muss ich wohl davon ausgehen, dass die unerfreuliche Nachricht bereits zu Ihnen durchgedrungen ist«, stellte Caryas Begleiter fest.
»Und nicht nur zu mir«, erwiderte Caryas Onkel düster. »Ihr zwei werdet heute Morgen in einem Atemzug mit Großinquisitor Aidalon
Weitere Kostenlose Bücher